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Und hier eine echte Herta-Müller-Nachricht, sie kommt wie die nachrederische aus Rumänien, aber von einem Autor, den ich etwa solange kenne wie Herta Müller und aus derselben Quelle. Ich habe gelegentlich mit Studenten ein unter damaligen Umständen in Rumänien ebenso wie in der DDR subversives Gedicht gelesen (gedruckt wurde es aber nur in Rumänien, in der Zeitschrift Neue Literatur), es hieß „Agronomisch“ und beschrieb die Menschenpflanzschulen unserer jeweiligen Diktaturen. Vielleicht konnte der dortige Zensor kein Deutsch und war einfach zufrieden, wenn am Beginn des Heftes die obligate Eloge auf Ceausescu stand? Hellmut Seiler schreibt in der Siebenbürgischen Zeitung über Herta Müller und die damalige deutschrumänische Szene:
Mit manchen Menschen sind flüchtige Begegnungen gar nicht möglich; seien sie auch noch so kurz, so sind sie doch nie oberflächlich, bleiben nachhaltig im Gedächtnis haften. Meine Bekanntschaft mit Herta Müller ist von dieser Art. Begegnet ist sie mir zuerst in Textform; in der Mai-Nummer 1979 der Neuen Literatur las ich ganz ungewöhnliche Texte einer mir bis dahin unbekannten Autorin, eine auffallend persönlich geprägte Prosa, ein unverwechselbarer Ton.
Kennengelernt haben wir einander 1980 in Temeswar, im Rahmen des „Adam-Müller-Guttenbrunn“-Literaturkreises (AMG), dessen Mitglied ich geworden war, anlässlich einer Lesung von mir ebenda. Von den deutschsprachigen Literaturkreisen in Rumänien – es gab deren auch in Klausenburg, Kronstadt, Bukarest je einen, den der Germanistik-Fakultät in Hermannstadt habe ich selber von 1972-76 geleitet – war der AMG sicherlich der lebhafteste, der mit den meisten Mitgliedern, darüber hinaus der einzige, der einen Beitrag erhob und aufgrund dessen Preise auslobte. Auch derjenige, der der Staatsmacht der spitzeste Dorn im Auge war und über den der Geheimdienst daher intensiv wachte. Die Diskussionen in den Redaktionsräumen der Neuen Banater Zeitung wurden privat fortgesetzt, die halbe Nacht hindurch in der Wohnung (Richard) Wagner / (Herta) Müller.
Zugegen waren die Mitglieder der vormaligen „Aktionsgruppe“ Johann Lippet, William Totok, Horst Samson, Helmut Frauendorfer, auch Roland Kirsch, den die Securitate auf dem nicht existenten Gewissen hat. Es ging in erster Linie um literarische Belange, die (häufig von den Verlagen aufgeschobenen) Bucherscheinungen des einen oder anderen, die neuesten Entwicklungen in der DDR und in Westdeutschland, das nächste Themenheft der Zeitschrift Neue Literatur etc. Es ging auch darum, wer welche Bücher/Literaturzeitschriften auf verschlungenen Wegen gerade erhalten hatte; wir waren als eingeschworene Gemeinschaft durch intensiven Austausch ziemlich auf dem Laufenden mit den Neuerscheinungen. Es war nicht nur Beflissenheit, unser Weltbild war literaturzentrisch, aber unter Einbeziehung der Verhältnisse, wir verstanden uns als politische Literaten, wir wollten uns aber dort artikulieren und etwas verändern, keiner von uns trug sich (noch) mit Auswanderungsabsichten. An Hertas Wortmeldungen erinnere ich mich als nüchterne, sachliche Einlassungen, auch von dunklem Humor geprägt. In der lebhaften Runde war sie eher zurückhaltend.
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