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Schon mit ihrem ersten Gedichtband „Aus blassen Fasern Wirklichkeit“, 2006 in der edition AZUR erschienen, erregte die 1981 in Weimar geborene Lyrikerin Nancy Hünger Aufmerksamkeit. Spätestens seit diesem Debüt gilt sie als großes Nachwuchstalent. Drei Jahre später nun liegt ein neuer Band vor. Gemeinhin sagt man, mit dem zweiten Buch schlägt die Stunde der Wahrheit. Und ich sage es ohne Umschweife: Dieser schön ausgestattete Band ist ein Ereignis. Hier meldet sich eine Poetin zu Wort, „eine Herrin der Worte“, wie Gisela Kraft in ihrem Nachwort schreibt. …
Aber was macht diesen Band zum Ereignis? Zwei Stichworte: die erstaunliche sinnliche Fülle und der Mut zur Empathie. „Hierseitig“ ist ein Begriff, der mehrfach in den Gedichten auftaucht. Ins Bild kommen Landschaften und Menschen. Die schwarzerdige Ukraine, graue Städte, Märkte in ihrer prallen Fülle und Farbenpracht. Da vertraut eine ganz ihrer Wahrnehmung und hat keine Scheu vor großem Ton. „Die Tage stemmen sich aus den Nächten, gebunden aus Wetter/ und Licht“. Dann gibt es wieder genaue, ins Detail gehende Beobachtungen, denn „auch die Dinge wollen beredet sein“. Mitfühlend schaut die Dichterin auf menschliche Not. Der Leser lernt Oleg kennen und jenen „wirklichen Jungen“ vor einem Hotel in Israel. „Oleg hat ewige Augen. Oleg geht in die vierte Klasse und ist nie da,/ nur ganz sacht anwesend“. Und über letzteren heißt es: „Ein Junge mit dünnen Armen und Augen, ich meine,/ Ärmchen und Äuglein, das gibt es, wenn der Körper die offene/ Bruchstelle der Seele ist.“ / Martin Straub, Thüringische Landeszeitung 17.8.
Nancy Hünger: Deshalb die Vögel. Instabile Texte, edition AZUR, Dresden, 77 Seiten, 14 Euro
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