Versschmuggel

Im Gedicht „Praha 1990“ der Französisch-Schweizerin Sylviane Dupuis beginnt die zweite Strophe mit dem Ausruf „Étrangère!“, der die schockartige Erfahrung der Fremdheit pointiert an den Anfang setzt. Barbara Köhler verbannt die „Fremde“ ans Versende und macht aus ihr eine blasser wirkende Apposition: „Du wirst dich hier nicht schadlos halten, Fremde“. Und stehen die „deux animaux fabuleux“ des Marokkaners Abdellatif Laâbi nicht den – zu dem klangähnlicheren – deutschen „Fabeltieren“ näher als den „Märchentieren“?

Es soll hier jedoch nicht gebeckmessert, zumal die Übersetzungen oft gelungen sind. Ein weiteres Verdienst dieser Anthologie liegt darin, dass sie uns deutsche Gegenwartslyrik, die wir in der Regel nur mit der inländischen Konkurrenz vergleichen können, in einem internationalen Kontext präsentiert. Die frankophonen Autoren kommen immerhin aus vier verschiedenen Kontinenten. Der Leser hierzulande gewinnt so auch einen Einblick in verschiedene französischsprachige Kulturen. Zugleich schmuggelt der zweisprachige Band deutsche Gegenwartsdichtung in die Welt hinaus. Eine pfiffige Art von Kulturarbeit. / Jürgen Heizmann, SZ 22.8.03

THOMAS WOHLFAHRT, AURÉLIE MAURIN (Hrsg.): Vers Schmuggel / Mots de passe. Gedichte. Deutsch-französische Ausgabe. Herausgegeben von der LiteraturWERKstatt Berlin. Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2003. 320 Seiten, 24,80 Euro

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