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Tatsächlich gelingt es dem Übersetzer, für die von ihm präzis analysierte Reimtechnik Majakowskis mit ihren vielfach verschlungenen Binnenreimen und Assonanzen sehr dynamische und bildkräftige Entsprechungen zu finden. An einigen Stellen führt die Artifizialität der Reim-Übertragung aber zu manieristisch verschwitzten Nachbildungen. Majakowskis lyrische Antizipation der großen politischen Umwälzung von 1917 liest sich in einer früheren Übertragung von Alfred Edgar Thoß poetisch schlüssig: „Ich, das Gespött der Menschheit von heut, / lang und scharf wie ein schlüpfriges Lied, / ich sehe jenseits des Gebirges der Zeit, / einen Schreitenden, den niemand sieht. / Wo die stumpfen Blicke der Generationen / an den Häuptlingen hungriger Horden verlechzen, / geht, geschmückt mit dem Dornenkranz der Revolutionen, / das Jahr neunzehnhundertsechzehn.“ In seinem Verlangen nach eigensinniger Reimkunst hat Nitzberg die gleiche Stelle in ein recht preziöses Deutsch transferiert, wobei klanglich reizvolle und metaphorisch sehr taube Partien miteinander kollidieren: „Ich, / umgreint von Menschensippen, / ein langer / obszöner Witz, / nehme selbst über zeitliche Klippen / von dem, was da kommt, Notiz. / Denn fern, wo die Augen schlecht sehn, / da schreitet im Dornenkranz / das Jahr neunzehnhundertsechzehn, / als Haupt eines hungernden Aufstands.“ Hier bewährt sich der Übersetzer Nitzberg zwar als jener „Rastelli der Reimkunst“, auf den Peter Rühmkorf schon so manche Eloge gesungen hat. / Michael Braun, FR 15.2.03
Wladimir Majakowski: Tragödie Wladimir Majakowski / Wölkchen in Hosen. Poem. Russisch / Deutsch. Übertragen von Alexander Nitzberg. Urs Engeler Editor, Basel / Weil am Rhein / Wien 2002, 140 Seiten, 14,50 €.
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