Geschichtsspeicher

Wie sich Gedichte in diesem „Sprachkrieg der Weltbürger“ produktiv situ­ieren kön­nen, zeigt auch die aktuelle Nummer 212 der Zeitschrift „Sprache im tech­nischen Zeit­alter“. Hier demonstriert Marcel Beyer in einer fantastischen Detail-Interpretation eines Gedichts von Oskar Pastior, dass Gedichte eben nicht raunend meta­physische Weis­heiten absondern, sondern Geschichts­speicher sind. Gedichte, so Marcel Beyer, sind „Erkun­dungen von Nach­bar­schaften“, und sie untersuchen das „prekäre Verhältnis von Klang­betörung und Sinn­betörung“. (…)

Auf ein ganz anderes Feld von Sprach­ver­wendung in der Lyrik führt uns der „Sprache im tech­ni­schen Zeit­alter“-Beitrag von Daniel Graf zur Übersetzungs-Poetik bei Ulf Stolterfoht und Uljana Wolf. Die Dichtung von Ulf Stolterfoht, so Grafs These, interes­siert sich vor­wiegend für die insta­bilen Ver­hält­nisse zwischen den Wörtern und ihren Bedeu­tungen; und sie arbeitet stetig an einer Auflösung aller festen se­man­tischen Bindungen. Für Stolter­foht ist es ein großes Sprach­ver­gnügen, den Trans­forma­tionen und Kolli­sionen der Wörter bei ihrer Über­setzung in eine andere Sprache zuzu­sehen und auch aus Zufalls­effek­ten Poesie zu generieren. Das geht so weit, dass sich Stolter­foht selbst fragt, ob „Fehler­haftig­keit womög­lich eine Exis­tenz­be­dingung“ für die Poesie darstellt? / Michael Braun, Poetenladen

Sprache im technischen Zeitalter, H. 212
c/o Thomas Geiger, Am Sandwerder 5, 14109 Berlin. 120 Seiten, 14 Euro.

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