74. „Postalisches Pathos, epistelisches Ethos, eingeschriebener Eros“

Ein Lyriker war er am laufenden Fließband. Ein Einmischer in linke Parteiungen jederzeit. Allüberall Übersetzer aller Shakespeare-Szenen. Jetzt wird der Schriftsteller Erich Fried vorgestellt als unermüdlicher Briefsteller. Postalisches Pathos, epistelisches Ethos, eingeschriebener Eros; flächendeckend Moral und Moralin, Empathie und Sympathie, spediert in Poetik & Politik mit Poetik & Politik. Lieb gehabt wollte er werden, und Lieb-Haber war er, mit Honig, Schmäh und Schmalz; sogar vor seiner dritten Ehefrau protzt er altherrlich in einem Love-Letter mit seiner Vielweiberei: „My flaunted polygamy“.

Ein Büchlein für Friedianer, die in seiner Schreibmaschine sitzen, in seinen Tagebüchern stibitzen und eben Kibitz sein mögen beim Dichterers zuhaus. Interesse bedient! Mit unfreiwilligem Selbstporträt als Psychogramm. Die Kontur eines Kommunikators, die Agenden eines Agitators, die Botschaften des Brambassierens und des Belehrens, das Profil eines Poetasters, der hyperaktiv und ruhelos redet, redet, redet, selbst wenn er schreibt. Aus den Kuverts dieser Korrespondenz heraus entlarven sich seine Gedichte zukünftig auch als bloße Sprech-Sprache, die nach schnellem Dialog mit dem Leser ruft. Mundkost, Ohrenschmaus. Gedichte bei Gelegenheit von Geschichte/n. (…)

Bitterer Höhepunkt der Kollektion ist der Konflikt, den Verleger Wagenbach seinem Autor und Freund aufgezwungen hat. Fried wurde zutiefst verletzt vom rüden Jargon der Linkssoldateska, mit der sein Lektor seine Lyrik zusammenrüffelt. Fassungslos. Aber er setzt sich zur Wehr gegen Wagenbachs „bornierte Selbstsicherheit, Schulmeisterei, Engstirnigkeit, Überheblichkeit, gegen seine politischen Irrsinnserscheinungen aus der unerträglich vergifteten Atmosphäre des Post-ApO-Berlins, die auch Ulrike Meinhof in die RAF getrieben habe.“ Fazit: „Es wäre nicht praktisch, nach der Revolution dort Schriftsteller zu sein, wo du tonangebend bist!“ / Peter Roos, Die Presse 12.6.

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