39. Veränderung im Kopf

Mit seiner mutigen und mit Bedacht edierten Anthologie „alles außer Tiernahrung. Neue politische Gedichte“ präsentiert der Augsburger Schriftsteller Tom Schulz nun die politische Lyrik der heutigen Generation…

Der Altersdurchschnitt der 25 von Schulz ausgewählten Autoren liegt etwa bei 35. Möglicherweise ist das gut so. Das Neue ist oft ein Privileg der jungen Generationen, gerade im Politischen. Revolutionäre waren selten älter als dreißig, Robespierre mal ausgenommen. Nun sind Lyriker keine Revolutionäre, aber viele tragen die Revolution im Kopf, oder zumindest die Veränderung. Es mag ein Zufall sein oder eine Kausalität, dass das Gros der Schriftsteller, Künstler und Intellektuellen sich – gerade heute, gerade hier – als system- und konventionskritisch erweist. Ob sich das „links“ einordnen lässt sei dahingestellt. In jedem Fall sind es Menschen, die in ihrem Schaffen Bestehendes hinterfragen, betrachten, kritisieren, persiflieren, aber nur selten einfach akzeptieren. …

„Wie ein Grenzschutz wieder / eine Linie zieht, es muß, es / darf geschossen werden“, eröffnet Björn Kuhligk seine „Liebe in den Zeiten der EU“ und bricht das Meinhof-Zitat mit der Anspielung auf Marquez, nur um später die Reaktion auf Gleiwitz zu ergänzen. Es ist eine sprachgewaltige Lyrik, die um zahlreiche Ecken denkt, nicht Kampf-, sondern Denk- und Erkenntniszonen ausweitet. Das darf auch ganz offensiv polemisch sein wie bei Adrian Kasnitz: „dein slip, / wird er feucht beim anblick der flakons? bei musik, die der / kaufhaus-dj auflegt für deinen privaten cash-flow?“ Die Stimme der Irritation, der manchmal ratlosen oder auch ratenden Betrachtung findet sich, so etwa in „hot magenta“ der von Thomas Kling entdeckten Sabine Scho: „ein beau vor der gardine / notably pale, oder ein unwürdiger / tod bei lachs in der springer- / kantine, was ist so falsch / an farben?“ Hier wird gar nicht geurteilt, es wird nichtmal politisiert, es wird lediglich, fast sanft, auf die Bahnen der alltäglichen Wahrnehmung verwiesen, um sie zu hinterfragen. Passend dazu das wunderbare Gedicht von Simone Hirth, das augenzwinkernd-bissig unsere Alltagsignoranz über die Folgen unseres Handelns nachzeichnet: Von nichts will das lyrische Ich etwas wissen, „Nur diese eine Zitrone / will ich aus dem Fenster werfen, / und wo sie landet, das / interessiert mich ebenfalls nicht.“ / Gerrit Wustmann, Neue Rheinische Zeitung 7.10.

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