Marktcoup oder literarisches Phänomen?

Über die  Gedichte der 23-jährigen amerikanischen Lyrikerin Mira Gonzalez, die soeben bei Hanser auf Deutsch erschienen, wird seit Tagen in sozialen Netzwerken kontrovers diskutiert. Knallhart kalkulierter Marktcoup oder herausragender Band und eine der wichtigsten jungen Stimmen ihrer Generation?

Jetzt erscheinen erste Besprechungen. Fast ungeteilte Zustimmung im Blog von Jan Drees

Ihre Gedichte, die nun bei Hanser in einer schönen, zweisprachigen Ausgabe erscheinen, übersetzt von Verleger Jo Lendle, sind Schlüssellochblicke in das Leben einer Anfang-20-Jährigen, die schon jetzt geübt ist im künstlerischen Zugriff auf die ernüchternde Welt einer weißen, urbanen und privilegierten Bohème.

Kritik am Verhalten des Verlags und ausführlicher Hinweis auf die problematische Seite einer vielleicht schon gescheiterten Bewegung bei Kristoffer Cornils (auf Fixpoetry) – ich beschränke mich auf kurze Zitate, die keineswegs repräsentativ für Cornils‘ Informationen und Thesen ausfallen:

Alt Lit, ein weitestgehend US-amerikanisches Phänomen, setzte der schönen neuen Welt eine radikale Aufrichtigkeit entgegen.

Plötzlich ging es wieder weniger um ästhetische Diskurse denn um das eigene Leben. Eine Generation, die sich per sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook unablässlich selbst zum Ausdruck brachte, nahm den nächsten logischen Schritt. Alt Lit ist eine Art Naturalismus des 21. Jahrhunderts: Ungeschönt, direkt und mit dem Ziel versehen, die eigenen Erfahrungswerte möglichst transparent zu machen. (…)

Gonzalez ist eine (Zu-)Spätkommerin der Alt Lit-Szene, ihr erster Gedichtband i will never be beautiful enough to make us beautiful together erschien 2013 und damit ein Jahr, bevor die bis dahin weitestgehend heile Welt der literarischen Bewegung einen vernichtenden Rückschlag erhielt. Hanser legt ihn jetzt auf Deutsch auf, um die Übersetzung hat sich Verlagschef Jo Lendle selbst gekümmert. (…)

Gonzalez skizziert mit knappen, gestisch abgeklärten Worten – Gedichte sind für sie so etwas wie in Breite ausgeführte Tweets – Szenarios von gegenseitiger Ausbeutung. Sie entspringen der internalisierten Entfremdung, ihr Ausgangspunkt ist »an inability to experience phenomena first-hand«. (…)

Obwohl es sich verbietet, das Dargestellte mit der Darstellung und erst recht nicht mit Affirmation zu verwechseln: Dessen Vermarktung muss unbedingt hinterfragt werden. Denn die stützt sich, ob sie will oder nicht, auf die Verharmlosung des Einzelfalls und damit auch des Gesamtkontextes.

Mira Gonzalez
Ich werde niemals schön genug sein, um mit dir schön sein zu können
Übersetzung: 
Jo Lendle
Hanser
2015  ·  112 Seiten  ·  16,90 Euro
ISBN:  978-3-446-24940-0

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..