39. Trakl in Grodek

Zu diesem Zeitpunkt kommt eine Sanitätskolonne in einer Scheune der Stadt Grodek zum Einsatz. Hier liegen 90 Schwerverwundete, aber den Helfern fehlt es an so gut wie allem: Verbandsmaterial, Medikamente und ärztlicher Sachverstand reichen nicht einmal für die Hälfte der Opfer. Einer der Sanitäter ist der 27 Jahre alte Salzburger Dichter Georg Trakl, ein stiller, von großer Schwermut gezeichneter Mann, der sehnlich auf das Erscheinen seines zweiten Gedichtbandes „Sebastian im Traum“ wartet. Als der im Frühjahr 1915 bei Rowohlt herauskommt, ist Trakl bereits ein halbes Jahr tot.

In jener Scheune in Grodek stellt sich ein Offizier vor Trakl. Der Soldat hatte einen Schuss in die Blase erlitten. Vor den Augen Trakls hält sich der Mann die Pistole in den Mund und drückt ab, blutige Hirnpartikel kleben an der Wand. Ein paar Abende später stürzt Trakl während des Abendessens aus der Baracke und will sich ebenfalls erschießen. Beherzte Kameraden entreißen ihm im letzten Augenblick die Pistole. Ende Oktober schreibt der Dichter, dessen Leben eine erbarmungswürdige Veranstaltung aus Rauschgiftsucht, partiellem Wahnsinn, wirtschaftlicher Not und tiefer moralischer Zerrüttung war, einen Brief an seinen Mäzen, den Innsbrucker Verleger Ludwig von Ficker, der das für Trakl wichtige Literaturblatt Der Brenner herausgibt, in dem fast alle bedeutenden Gedichte Trakls erschienen. „Ich fühle mich schon fast jenseits der Welt“, heißt es in dem Brief, dem zwei Gedichte beigelegt sind: „Klage“ und, Trakls wohl bedeutendster Text, „Grodek“:

„Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochnen Münder…“

Wie verstörend dieser Abgesang auf die Menschheit auch auf uns Heutige noch wirkt! Im vergossenen Blut wohnt „ein zürnender Gott“ und „Alle Straßen münden in schwarze Verwesung“. Für Trakl gehört der Mensch einem verfluchten Geschlecht an, und der Krieg ist sein Armageddon. / Hilmar Klute, Süddeutsche Zeitung 4.1.

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