68. Künftiger, duftiger Divan

Edition und Kommentar von Goethes „West-östlicher Divan“, die Hendrik Birus 1994 vorlegte, wurden sofort als Meilenstein der Philologie gefeiert. Birus befreite den 1819 erschienenen „Divan“ von späteren Zusätzen in der „Ausgabe letzter Hand“, der die meisten späteren Editionen folgten, und bot diese bereicherten Fassungen separat, dazu die handschriftlichen Vorfassungen, vor allem die in Wiesbaden 1815 entstandene, alle Vorabdrucke, Nachlass-Stücke und Exzerpte. Zusammen mit einer detaillierten Werk-Chronologie entstand so erstmals das Bild eines „work in progress“, einer nicht nur zu einem anderen Kulturkreis – dem persisch-islamischen Orient -, sondern auch für weitere Komplettierung offenen „Versammlung“ von Texten. „Versammlung“, die wörtliche Übersetzung von „Divan“, nicht eine mehr oder weniger geschlossene „zyklische“ Struktur wurde als Bauprinzip erkennbar.

Es wurde sichtbar, was Goethes schöne Formulierung vom „künftigen Divan“ eigentlich bezeichnete: eine duftig-schwebende, von irdischen Anlässen und strenger Gelehrsamkeit angeregte, endlos weiter anregende Poesie. Zum aufgefrischten äußeren Eindruck gehörte, dass Birus den Druckerschwärzestaub der allzu vielen Kommata und Interpunktionen späterer Editoren abbürstete. / Gustav Seibt, SZ 7.5.

Goethe: West-östlicher Divan. 2 Bde. Hrsg. v. H. Birus. Dt. Klassiker Verlag, Berlin 2010, 32 Euro

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