81. Dingaufstand

Als der russische Futurist Welimir Chlebnikow um 1909 in Gedichtform einen «Dingaufstand» beschrieb, bei dem die Dinge ihre herkömmlichen Bezeichnungen abwerfen, um sich neu zu einem gewaltigen Maschinenwesen – halb Kran, halb Kranich – zu formieren, eröffnete er damit eine Debatte, die in der Folge von Künstlern und Kunsttheoretikern, von Dichtern und Philosophen kontrovers ausgetragen wurde. Einig war man sich darin, dass die Dinge gegenüber den sie semantisch wie funktional determinierenden Begriffen und Metaphern «befreit» werden sollten – befreit auf immer wieder neuen Gebrauch hin, wofür es in der frühen Sowjetzeit auch viele neue Einsatzbereiche gab: Gerätedesign, Möbel, Kleidung, architektonische und industrielle Formbildungen, aber auch Malerei, Plastik, Film, Propaganda, Warenästhetik und selbst literarische Techniken wie die Faktografie in der Gesellschafts- und Industriereportage. … In einem umfangreichen Reader dokumentiert Anke Hennig diesen Emanzipationsprozess am Leitfaden von Programmschriften, Lehrplänen, Arbeitsberichten, theoretischen Abhandlungen, Statements von Künstlern, Literaten, Pädagogen. … / NZZ 6.4.

Über die Dinge. Texte der russischen Avantgarde. Herausgegeben von Anke Hennig. Fundus-Bücherei 181. Verlag Philo Fine Arts, Hamburg 2010. 910 S., € 26.–.

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