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Veröffentlicht am 24. Juli 2009 von lyrikzeitung
„Eiserne Gutmütigkeit!“ Oder auch, an einer anderen Stelle in Hans Magnus Enzensbergers neuem Gedichtband „Rebus“: „gußeiserne Gutmütigkeit“. Die schöne Wortfügung taucht in den letzten Jahren bei Enzensberger immer wieder einmal auf; als hätte sich da im lyrischen oder biographischen Ich eine bestimmte Haltung gefestigt, von der man die Welt nicht ungern in Kenntnis setzt. Wenn Gutmütigkeit „eisern“ ist oder geworden ist, dann erscheint sie weniger als eine Frage des Naturells als der Disziplin.
Und als disziplinierte kann natürlich die Gutmütigkeit so gut gar nicht sein, wie sie es als eine Eigenschaft des Charakters wäre. Die eiserne Gutmütigkeit, die uns Enzensberger in letzter Zeit gern suggeriert, ist, wie könnte es anders sein, weder eisern noch gutmütig. Eher könnte man sagen, dass hier jemand spricht, der sich von nichts und niemandem mehr aus der Gelassenheits-Reserve bringen lässt, nicht einmal von sich selbst. Solche Gedichte, in denen der aufgeregten Welt der Meinungen und Kämpfe noch einmal ostentativ der Rücken gekehrt wird, muss man sich leisten können. …
Ein Rebus ist bekanntlich ein Bilderrätsel, aber in diesen Gedichten gibt es, was man nicht nur beklagen muss, gar keine Rätsel.
Als man schon fast die Hoffnung aufgegeben hat, in diesem Band etwas zu finden, das über das Lob des Treppensteigens hinausgeht, langt man bei einer fast zehnseitigen „Coda“ an, die einen dann doch wieder etwas versöhnlicher stimmt. Hier darf man doch noch einem Ich begegnen, das etwas in sich herumträgt, das überhaupt an etwas trägt und also mit seinem Gepäck doch geringfügig schwerer ist als Luft.
Die „Coda“ ist eine Art Selbstgespräch über ein Motiv namens „Alles Mögliche“. Man müsste, sagt sich der Sprecher, jenseits von Gelassenheit und Ironie schon noch einmal etwas tun. Sogar die „alte Wut“ ist nicht ganz vorbei. „Manchmal, nachts“ holt sie „mich ein/ hinterrücks. Wie früher hat sie / gewöhnlich recht. Aber merkt sie nicht / daß es keinen Zweck hat, daß sie stört, / daß ich sie nicht haben will? Sie weiß doch, / daß alles, was menschenmöglich ist, womöglich nicht reichen wird, um uns zu retten?“ Gibt es womöglich doch einen lyrischen und Lebens-Zustand nach der „eisernen Gutmütigkeit“? „Ich bleibe dabei / vorläufig wenigstens“, vermelden die letzten Zeilen. Das „vorläufig“ lässt hoffen. / CHRISTOPH BARTMANN, SZ 16.7.*
HANS MAGNUS ENZENSBERGER: Rebus. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 120 S., 19, 80 Euro.
*) illustriert mit einem schönen englischen Rebus
Kategorie: Deutsch, DeutschlandSchlagworte: Christoph Bartmann, Hans Magnus Enzensberger
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