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Die FAZ präsentiert uns heute schöne kluge Sätze von Borges, wie diese:
Ich fürchte, hier nicht verstanden zu werden, und auch auf die Gefahr hin, die Angelegenheit allzusehr zu simplifizieren, möchte ich ein Beispiel suchen. Als Illustration mag uns diese aufgegriffene Metapher dienen: „Das Feuer, mit wüsten Kiefern, frißt das Feld.“ Ist diese Wendung verwerflich oder zulässig? Ich behaupte, das hängt allein von dem ab, der sie prägte, und das ist kein Paradoxon. Nehmen wir an, in einem Café der Calle Corrientes oder der Avenida [9 de Julio] präsentiert ein Literat sie mir als sein eigen. Dann werde ich denken: Metaphern machen ist jetzt wohl ein vulgärer Zeitvertreib geworden; „verbrennen“ durch „fressen“ ersetzen ist kein glücklicher Tausch; das mit den Kiefern mag den einen oder anderen verblüffen, es ist aber eine Schwäche des Dichters, sich durch das redensartige „verzehrende Feuer“ hinreißen zu lassen, ein Automatismus; insgesamt: Null . . . Nehmen wir nun an, die Metapher wird mir präsentiert von einem chinesischen oder siamesischen Dichter stammend. Dann werde ich denken: Bei den Chinesen wird alles zum Drachen; und ich werde mir ein Serpentinenfeuer vorstellen, hell wie ein Fest, und es wird mir gefallen. Nehmen wir an, der Augenzeuge eines Brandes verwendet diese Metapher oder, noch besser, einer, dessen Leben durch die Flammen bedroht war. Ich werde denken: Diese Vorstellung eines Feuers mit Kiefern hat wahrlich etwas von Albtraum, von Grauen, und gibt einem bewußtlosen Ereignis etwas von abscheulicher menschlicher Bosheit. Der Satz ist beinahe mythologisch und ungeheuer kraftvoll. Nehmen wir an, man sagte mir, der Vater dieser Redewendung sei Aischylos und gesprochen habe sie Prometheus (somit sei sie wahr) und der angekettete Titan, von den beiden schlimmen Vollstreckern namens Kraft und Gewalt an einen Felsvorsprung gebunden, habe sie dem Okeanos gegenüber deklamiert, einem alten Caballero, der in einem Wagen mit Schwingen kam, sein Mißgeschick zu betrachten. Dann erschiene mir der Satz gut, sogar vollkommen, in Anbetracht der beiden außerordentlichen Dialogpartner und des (schon poetischen) entlegenen Ursprungs. Ich werde das gleich tun wie der Leser, der ohne Zweifel sein Urteil zurückhält, bis er sich vergewissert hat, von wem der Satz stammt. / FAZ 28.1.03
Anm. der FAZ: Der bisher auf deutsch unveröffentlichte Text von 1927 ist dem Band „Eine neue Widerlegung der Zeit und 66 andere Essays“ entnommen, der im Februar als 218. Band der „Anderen Bibliothek“ im Eichborn Verlag erscheint.
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