Vomierte Rosen

Über einen Literaturstreit von 1827 zwischen Heine und Platen berichtet die NZZ:

Ausgangspunkt der Auseinandersetzung waren einige eher harmlose Epigramme, mit denen Karl Immermann die Verfasser orientalisierender Modepoesie in der Nachfolge von Goethes «West-östlichem Divan» dem öffentlichen Spott aussetzte. Heinrich Heine hatte sie im Anhang zum zweiten Teil seiner «Reisebilder» von 1827 gedruckt. In Anspielung auf Goethes Vorbild, den persischen Dichter Hafis aus Schiras, wurden da Friedrich Rückert , der Verfasser der «Östlichen Rosen», und August Graf von Platen mit seinen «Ghaselen» als Goethe-Epigonen abgetan:

Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen, Essen sie zu viel, die Armen, und vomiren dann Ghaselen.

… Sein [Platens] «Pochen auf Klassizität», das in der virtuosen Handhabung der antiken Ode, des Renaissance-Sonetts und komplizierter orientalischer Strophenformen seinen Ausdruck finde, wird von Heine als «Heuchelei», als Maskierung seiner wahren Absichten und als Anmassung abgetan. Im Grunde entzündet sich der Streit also an der Frage, wer der legitime Erbe Goethes im neunzehnten Jahrhundert sei. Heine, der sich selbst als «der grosse Heide No 2» bezeichnete und mit seiner ironisch gebrochenen Lyrik, später mit seinen politisch relevanten allegorischen Stadtbildern aus Paris als erster Dichter der literarischen Moderne in Europa etablierte, dieser Heine hatte, wie die Geschichte gezeigt hat, die rechtmässigeren Titel auf diese Anwartschaft.

/ Bernd Witte, NZZ 6.7.02

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