Vor 700 Jahren starb der Dichterfürst Wizlaw von Rügen

1011 Wörter, 5 Minuten Lesezeit.

Das ganze Jahr habe ich an dieses bedeutende Jubiläum gedacht (bedeutend für die niederdeutsche Literatur und auch speziell für die Geschichte Vorpommerns und Greifswalds) – aber gestern habe ich das genaue Datum dann doch vergessen. Aber was ist ein Tag in 700 Jahren? Ich bitte alle Nichtpommern um Entschuldigung für einen kleinen historischen Exkurs, bevor ich zum heutigen Gedicht komme.

Kleiner Exkurs zuvor

Im Jahr 1325, gestern vor 700 Jahren, starb Wizlaw III. von Rügen – Fürst, Minnesänger und letzter Vertreter des slawischen Fürstengeschlechts der Ranen.

Sein Tod markierte nicht nur das Ende des Fürstentums Rügen, sondern zugleich einen Einschnitt in der Geschichte Vorpommerns und Greifswalds.

Die Stadt Greifswald gehörte im Mittelalter zum Fürstentum Rügen, das von den slawischen Fürsten aus dem Geschlecht der Ranen regiert wurde. Dieses Fürstentum entstand nach der dänischen Eroberung Rügens (1168) und umfasste neben der Insel selbst auch weite Teile des heutigen Vorpommerns, darunter Stralsund, Tribsees, Barth, Grimmen und Greifswald, manche sprechen auch von Festlandrügen.

Greifswald wurde zwischen 1240 und 1250 als Siedlung in der Nähe des Klosters Eldena gegründet. Das Zisterzienserkloster Eldena (gegründet um 1199 als Tochter von Esrom in Dänemark) lag im Machtbereich der rügenschen Fürsten, die nach 1181 Lehnsmänner der dänischen Krone waren. Die Stadt erhielt ihr Stadtrecht von Fürst Wizlaw I. von Rügen († 1260), wahrscheinlich um 1250. Das Stadtrecht orientierte sich am Lübecker Recht, das in dieser Zeit zur Grundlage vieler Ostseestädte wurde. Damit war Greifswald Teil des rügenschen Herrschaftsgebietes, das in enger wirtschaftlicher Verbindung zu Lübeck und den dänischen Ostseegebieten stand. Die Nähe zu Eldena und der Handelslage an der Ryck machten die Stadt rasch zu einem Handelsplatz und späteren Hansemitglied.

Mit dem Tod Fürst Wizlaws III. am 8. November 1325 erlosch das Haus der rügenschen Fürsten. Greifswald – ebenso wie Stralsund und das übrige Festlandsgebiet – geriet dadurch in den Rügenschen Erbfolgekrieg (1326–1354) zwischen den Herzögen von Pommern-Wolgast und den Markgrafen von Brandenburg. Die Hansestädte Stralsund, Greifswald und Barth stellten sich dabei auf die Seite Pommerns, um ihre Handelsinteressen zu sichern. Nach Jahrzehnten wechselnder Oberherrschaft fiel das ehemalige Fürstentum Rügen 1354 endgültig an Pommern-Wolgast.

Seitdem gehörte Greifswald dauerhaft zum Herzogtum Pommern bis zu dessen Untergang im 30jährigen Krieg. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der Dichter Wizlaw

Dieser Wizlaw III. von Rügen, der vor 700 Jahren starb, ist wahrscheinlich identisch mit dem Minnesänger dieses Namens (in der älteren Literatur findet man auch die Angaben: Wizlaw II. oder Wizlaw IV.). Dieser mittelterliche Dichterfürst, manchmal der letzte Minnesänger genannt, schrieb eher schulmäßige fromme Sprüche. „Ganz anderen charakter tragen (…) seine lieder; in ihnen ist alles natürliche sprache des herzens und der sinnlichkeit, nichts angelerntes, nachgeahmtes, wenn man von dem letzten, die gaben des herbstes und seine freuden besingenden bruchstücke absieht, das allerdings nichts eigentümliches hat, vielmehr ganz in dem groben geschmack der späteren meister gedichtet ist. Alles zusammen beweiset, daß Wizlâw keinesweges bloß für einen liebhaber der kunst, für einen, der dann und wann wohl auch ein einfaches, kunstloses liedchen wagt, gehalten werden darf, sondern das er ein schulgerechter meister war, und dem zufolge auch schulgemäßen unterricht genossen hatte.“ Das schrieb sein Herausgeber Ludwig Ettmüller 1852.

Ich widerspreche ihm heute, indem ich gerade dieses „grobe“ Herbstlied vorstelle. Mir ist das etwas zu hochgelahrt-dünkelhaft, indem gerade das „Grobe“, das der Gelehrte tadelt, für mich von besonderem Reiz ist.

Voilà, ein slawischer Dichterfürst niederdeutscher Sprache.

Sein Herbstlied

Wizlaw III.

(* 1265 oder 1268; † 8. November 1325) 

Lieder
XIV.


De hervest kumt ûs rîke nôch,
mensche, di des sulven rôk,
went it kumt in din gefoch
gans mit al bedalle

Bêr unde mede, gôde wîn,
rinder, gôse, feiste swîn
(dit môt al des menschen sîn),
hônre mit gescalle.

Swat up èrden wassen is,
mensche, dat is di gewis,
unde in wâge de fische.

Des moge wi frôlik leven hân,
swem got hîr .............
.....................

Hochdeutsche Fassung des Greifswalder Heimatforschers Theodor Pyl (1826-1904):


Herbstes Gabe

Der Herbst bringt reicher Früchte Zier,
Menschen, achtet ihn dafür;
So er kommt vor Eure Thür,
froher Dank erschalle.

Bier und Meth und guter Wein,
Rinder, Gänse, fette Schwein’ –
Muß des Menschen Herz erfreun,
Hahn kräht uns im Stalle.

Was der Erde Schooß erschloß,
Menschen, das für Euch entsproß,
Selbst im Wasser die Fische;
Des mögen wir fröhlich leben hier;
Wem’s Gott beschieden für und für,
Der setze sich froh zu Tische!

(Die letzten Zeilen hat Pyl frei ergänzt – das Original bricht wie oben ersichtlich in der 13. Zeile ab). – Ob das „künstliche Strophengebäude“ in Wahrheit ein früher Versuch ist, die italienische Form des Sonetts nachzuahmen?)

Ich versuche eine textnahe Übersetzung nach den Kommentaren von Ettmüller. Die Sprache ist nicht leicht verständlich, die niederdeutschen Texte wahrscheinlich von einem oberdeutschen Schreiber, der des Niederdeutschen nicht mächtig war, mit vielen Fehlern abgeschrieben.

Der Herbst [vielleicht auch: die Ernte, harvest] kommt mit reichen Gaben
Mensch, bediene dich ihrer
Denn sie kommen in deine Hand
ganz und gar

Bier und Met, guter Wein
Rinder, Gänse, fette Schwein'
Das muss alles dem Menschen zukommen
Der Hahn mit Geschalle (Gekrähe) [das kriege ich nicht ganz zusammen]

Was auf Erden gewachsen ist
Mensch, das ist dein gewiss
und im Wasser die Fische

Damit können wir fröhlich leben
Wem Gott hier .............

Ich beende diesen Blick auf den „pommerschen“ Dichter Wizlaw mit einem Seitenblick auf eine Strophe der pommerschen Dichterin Sibylla Schwarz von erstaunlicher Nähe (in Gelehrtensprache: Grobheit). In einem Chorlied der Schäfer und Hirten trotzt sie dem Vornehmtum der Städter:

Da hergegen loben wir
Einen Kohl / ein gut warm Bier /
Einen Knapkäs und ein Ey
Jst bey uns der beste Brey
Käs und Butter / Milch und Fisch /
Fetter Speck auff unserm Tisch
Deucht uns besser als Confect /
Der in Städten lieblich schmeckt.

Nachgetragen die Quellen.

  • Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit. Dreiunddreissigster Band: DES FÜRSTEN VON RÜGEN WIZLÂW’S DES VIERTEN SPRÜCHE UND LIEDER. Quedlinburg und Leipzig. Druck und Verlag von Gottfr. Basse., 1852. (Nachdruck bei Rodopi 1969)
  • Lieder und Sprüche des Fürsten Wizlaw von Rügen, übersetzt und erläutert von Theodor Pyl, Greifswald 1872
  • Sibylla Schwarz, Werke, Briefe, Dokumente. Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Michael Gratz. Band 1: Briefe, Sonette, Lyrische Stücke, Kirchenlieder, Ode, Epigramme und Kurzgedichte, Fretowdichtung. Leipzig: Reinecke & Voß, 2021

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