9. Poesie der Überraschung

„Dickicht mit Reden und Augen“, Steffen Popps dritter – prämierter – Gedichtband, ist sein Meisterstück in der Realisierung poetischer Freiheit. Als sein Wappentier firmiert die Eule, der scharfsichtige Nachtvogel, der das Cover schmückt und nicht nur im Gedicht „Im Eulenhag“ reiche Wörterbeute erspäht. Auf verblüffende Weise inszeniert Popp das Hakenschlagen auf ästhetischem Feld, den jähen Kurswechsel zwischen Melodien, Tempi und Bilderwelten, die unvorhersehbare Wendung. Mit steilen Manierismen, ironisch angerissenen Traditionszitaten, surrealistischen Bildfindungen und Wortwitzen steuert er sein Gedicht durch die Disharmonien der Gegenwart. In sechs Kapiteln, die als Zyklen angelegt sind, nimmt er sich mit seinem zirzensischen Talent die Themen und Tonlagen klassisch-romantischer Poesie vor, entwirft nebenbei eine stark ironisch unterfütterte „Agenda mit Tieren“ und rekapituliert die eigene Jugendzeit im Dresdner Plattenbau.

Die Grundstimmung ist eine intellektuelle Heiterkeit, mit der sich der Autor seiner Lieblingsbeschäftigung widmet: der kunstvollen Komposition ästhetischer Dissonanzen, dem Zusammenklang alter Pathos-Herrlichkeit mit profanen Alltagsmaterialien. In den ersten beiden Kapiteln ruft Popp Topoi der Naturdichtung auf wie das Meer und den Wald, um sie in anarchischer Spiellaune zu zerpflücken. Rasch assoziiert sich das „bilderverfilzte Ich“ des Dichters ins Politische: „Das All beäugt deine Knochen, ein verschwindender Fund/ vor Sternfeuer in den Plejaden. Katjuscha. Es ist was es ist./ Ich hatt einen Kameraden. Hoch auf dem gelben Wagen. / Bi-Ba-Butzemann. Meinst du, die Russen wollen Krieg?“

Je weiter wir uns in das „Dickicht mit Reden und Augen“ verstricken, desto größer wird die Lust des Autors am Aushebeln traditioneller Metaphorik und an der Sabotage des hohen Tons. Die Abteilung „Von Zinnen“ eröffnet mit einem Gedicht, das die Bedeutungspracht des Rittertums auflöst: „Liebe wollte Antike, Grube war Trumpf / – Gugelhupf, Unterschlupf, Grmpf.“ Die Leidenschaft für die Kuriositäten des Profanen zeigt sich auch an anderen Stellen: „Du betest zum Kohlenhydrat, das dir nie begegnet ist. / Du betest zu Puffreis, dem Sack, der voll Puffreis war.“ Steffen Popps Poesie der Überraschung wirbelt die Traditionen und Bildwelten durcheinander. Wer sich in dieses „Dickicht mit Reden und Augen“ vorwagt, erlebt eine ungeheure Beschleunigung des Denkens. / Michael Braun, Badische Zeitung

Steffen Popp: Dickicht mit Reden und Augen. Gedichte. Kookbooks, Berlin 2013. 90 Seiten, 19,90 Euro. 

Heute um 11 Uhr
im Stubenhaus Staufen
Verleihung des Peter-Huchel-Preises an Steffen Popp

Der Mitschnitt der Preisverleihung wird am 03.04.2014 veröffentlicht.

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