37. Plaths Kreativität

Plaths Leben und Schreiben wird seither fast durchweg von ihrem Selbstmord aus gelesen. Er ist die unumstössliche Deutungsinstanz ihrer Interpreten, und zugleich verdunkelt er die Sicht auf ihr Werk. Er machte aus ihr nicht nur eine Ikone weiblichen Schreibens, sondern auch des Feminismus, und zwar gerade, weil sie an diesem Leben scheiterte. Daran, die verschiedenen, sich zum Teil ausschliessenden Vorstellungen und Rollenbilder – Tochter, Ehefrau, Mutter, Geliebte, Schriftstellerin, Muse –, die sie für sich imaginierte und inszenierte, in Einklang zu bringen.

Für nicht wenige ihrer sich in ihre Lebenstragödie einfühlenden Leser und insbesondere Leserinnen hatte es den Anschein, als hätte sie nicht Selbstmord begangen, sondern wäre ermordet worden: von ihrem Vater, der starb, als sie acht Jahre alt war, und der eine Leere in ihrem Leben hinterliess, die sie nie auszufüllen vermochte. Und von ihrem Ehemann Ted Hughes, Schriftsteller wie sie, bewundert und gehasst. Dass die beiden Hauptwerke, der Roman und der letzte Gedichtband, erst kurz vor und nach ihrem Tod erschienen sind, hat zu dem Missverständnis beigetragen. Sie wurden zum Symbol für das Martyrium weiblicher Autorschaft, die sich lebenslang durch männliche Autorität eingeschüchtert und beschnitten sieht und Anerkennung, gar Ruhm erst durch Selbstmord erlangen kann.

Liest man die Tagebücher, bekommt man einen anderen Eindruck. Den von einer Autorin, die sich ein idealisiertes männliches Gegenüber konstruiert, von dem sie sich abhängig fühlt, auf das sie Rücksicht nehmen zu müssen glaubt, das ihren Widerstand weckt, das sie entwertet – um produktiv zu sein. Kreativität entsteht bei Plath vor allem in der Aggression, in Widerspruch und Kampf, in Auflehnung gegen den immerfort aufrechterhaltenen, internalisierten Opferstatus. / Bettina Hartz, Neue Zürcher Zeitung 9.2.

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