Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Aus Deutschland kommt es gegenwärtig knüppelhart über Claude Lanzmann. In Hamburg wurde Ende vergangenen Jahres die Vorführung seines Films „Warum Israel“ verhindert. Und jetzt veröffentlichte die „Zeit“ in ihrer jüngsten Ausgabe „Eine kleine Warnung an den Rowohlt-Verlag“, der sich anschickt, Lanzmanns Memoiren in deutscher Übersetzung zu veröffentlichen. „Le lièvre de Patagonie“, bei Gallimard erschienen, wurde in Frankreich mehrfach als Buch des Jahres 2009 ausgezeichnet. Vor diesem Werk warnt die Hamburger Wochenzeitung die deutsche Öffentlichkeit. Vom Verlag fordert sie eine „kommentierte Ausgabe“. Wahlweise schlägt sie eine Revision „unter Rücksprache mit Historikern“ vor. (…)
Claude Lanzmann, [nach 1945] junger Lektor an der [Berliner Freien] Universität, hatte auf Wunsch seiner Studenten ein Seminar über Antisemitismus organisiert. Das wurde ihm vom französischen Stadtkommandanten in Berlin verboten: keine Politik. Deshalb schrieb Lanzmann den Artikel, in dem er gegen die Widersprüche zwischen der Entnazifizierung und den Ereignissen an der FU protestierte. Die Zeitungen im amerikanischen, englischen und französischen Sektor verweigerten den Abdruck, es blieb nur die „Berliner Zeitung“ im Osten. Sie stellte dem Artikel – ohne Lanzmanns Wissen – ein Gedicht zur Seite, das Edwin Redslob Görings Frau Emmy gewidmet hatte. Unsicher in der Grammatik, schreibt Welzbacher zunächst von einem Gedicht, „das aus Redslobs Feder gekommen sein sollte“. Soll das heißen, dass er die Autorschaft anzweifelt? Später teilt er mit, das Gedicht habe Redslob nicht „direkt“ für Emmy Göring geschrieben, „sondern für ein Service der Kopenhagener Porzellanmanufaktur, die Emmy Göring mit einer Geschirrgarnitur beschenkte“. Dann sieht die Sache natürlich ganz anders aus!
Lanzmann äußert sich gar nicht speziell über Redslob und dessen Vergangenheit – weder 1949 noch 2009. Nach dem Krieg hatte Redslob behauptet, in Kontakt mit dem Widerstand gegen Hitler gestanden und zugesagt zu haben, das Kulturministerium zu übernehmen. „Dreist und nicht überprüfbar“ nennt Johannes Willms in der Besprechung von Welzbachers Biographie in der „Süddeutschen Zeitung“ diese Darstellung. Über Edwin Redslob schreibt Willms: „Kein ,Täter‘, aber ein publizistisch umtriebiger Mitläufer des Nazismus. Das Geschick jedoch, mit dem er es verstand, die drei großen Epochenbrüche der Deutschen Geschichte, die sein Leben wie das vieler anderer kennzeichneten, so überaus erfolgreich wie auffällig unauffällig mit der eigenen Biographie zu vermitteln, macht ihn als Phänotyp exemplarisch.“ / Jürg Altwegg, Genf, FAZ.net
Neueste Kommentare