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Eben dadurch aber, dass er Gedichte mit dem Wörterbuch schrieb und sich seine eigene dichterische Sprache erst erfinden musste, gewann er mehr noch, als wenn er die italienische Hochsprache verwendet hätte, an dichterischer Autonomie – und zugleich band er sich unauflösbar an die Mutter, verbündete sich mit ihr und ihrer alten bäuerlichen Welt gegen den mit dem Vater assoziierten autoritären Faschismus, dem, in seinem Anschlussversuch ans Römische Imperium, die „niederen“ Dialekte und regionalen Kulturen alles andere als erwünscht waren.
1944 gründete Pasolini, da war er 22 Jahre alt, sogar eine Akademie der friulanischen Sprache. Er entwickelte eine neue Umschrift und gab eine Zeitschrift, Stroligut, heraus – war also bemüht, seine Dichtung zu institutionalisieren, indem er sie auf ein breiteres – linguistisches, publizistisches – Fundament stellte.
Dass Pasolini ein Jahr später über Giovanni Pascoli promovierte, den Lyriker, der für die Entwicklung der modernen italienischen Sprache so überaus wichtig war, da er viele Wörter dialektalen Ursprungs zum ersten Mal verwendete und somit im allgemeinen Sprachgebrauch verankerte, erscheint da nur folgerichtig.
War er doch dabei, eine selbstständige friulanische Literatur zu begründen, die sich vom Rein-Volkstümlichen abwandte und Anschluss an die moderne italienische und europäische Literatur suchte, ohne ihren Volkston abzulegen.
In diesem Widerspruch bewegt sich Pasolini Zeit seines Lebens. Er will den Ursprung, die Unschuld – aber er will sie bewusst. Und das bedeutet, sie sind, wenn er sich schreibend über sie beugt, immer schon verloren, und machen das Schreiben zu etwas Schmerzhaftem, da es das, von dem es erzählt, das es zu bewahren versucht, im und durch das Schreiben zerstört. …
Die beiden Fassungen der „gioventù“ sind nun in einer zweisprachigen und alle Varianten berücksichtigenden Ausgabe erschienen, und zwar in einem Pasolini ganz und gar angemessenen knallroten und preisverdächtig schön gesetzten Band.
Jeweils auf einer Doppelseite sind beide Fassungen einander gegenübergestellt, klein das friulanisch-italienische Original, groß die Übersetzung von Christian Filips. Und diese Übersetzungen, für die ja im Deutschen auch erst eine Sprache erfunden werden musste, sind atemberaubend. / Bettina Hartz, Freitag 44
Dunckler Enthusiasmo – Friulanische Gedichte Pier Paolo Pasolini. Übersetzt von Christian Filips. Urs Engeler Editor Basel / Weil am Rhein 2009, 322 S., 28 E
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