Gleichungen und Pferde

267 Wörter, 1 Minute Lesezeit

Kurz nachdem ich die Zusage zur Veröffentlichung meines ersten Buches bekommen hatte, schlug mein Lektor – der es gut meinte – vor, die langen Zeilen in diesem Gedicht umzubrechen: es würde dadurch besser wirken. Ich brach die Zeilen um. Es war ein Fehler. Der Text erschien in »American Letters & Commentary« und dann in »The Best American Poetry« mit den ursprünglichen langen Zeilen – die zugleich ganze Sätze sind. Diese Version ist die korrekte. Ich schere mich nicht weiter um die Pseudo-Unterschiede zwischen Poesie und Prosa. Dieses Gedicht ist Prosa. Ich bin eine Autorin von Prosa. Die Königin ist tot, lang lebe die Königin. Man vergeudet viel Zeit damit, die Oppositionen falscher Dualismen zu debattieren. »Der Reiter« beklagt diese vergeudete Zeit.

SARAH MANGUSO

Der Reiter

Einige glauben, das Ende blüht uns
in Form einer mathematischen Gleichung.
Andere glauben, es kommt als leuchtendes Pferd.
Ich errechne eine Wahrscheinlichkeit von genau fünfzig Prozent:
Entweder etwas passiert oder es passiert nicht.
Ich öffne ein Fenster,
ich entwühle das Bett.
Irgendwie bringt mich alles, was ich mache,
näher an die Gleichung oder das Pferd heran.
Der Tod kommt in Form eines Pferdes,
von leuchtenden Gleichungen bedeckt.
Es wird keine weiteren Hinweise geben, das ist mir klar.
Ich beginne mein Pferd zu lesen.
Die Gleichungen sind in die Umrisse von Pferden gezeichnet:
Pferde, mit Gleichungen bedeckt.
Wenn ich wegreiten will, versuche ich,
ein Bein um die Welt zu schlingen,
denn ich bin geneigt, die flache Prärie
der Anfänge und Enden weit hinter mir zu lassen.

SARAH MANGUSO
aus dem Amerikanischen von Ron Winkler

Aus: sprachgebunden. Zeitschrift für Text + Bild. Ausgabe 3, 2007. Edition Chiméra, S. 60f

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..