Indonesisch

Das große Ganze Indonesiens, es ist nur ganz schwer einzukreisen. Aber einige Fäden lassen sich zumindest aufnehmen, man kann Wissenschaftler, Intellektuelle und Künstler aufsuchen. Und auch Professor Mahsun, Linguist und Experte für Bahasa Indonesia. Er kennt sich nicht nur mit der Geschichte der indonesischen Amtssprache aus, er kümmert sich zugleich um deren Zukunft. Mahsun, der wie viele Indonesier nur einen Namen trägt, leitet eine Abteilung im Ministerium für Erziehung und Kultur. Seine Mission lautet, das Indonesische als nationale Sprache zu hüten und zu entwickeln. Für den Staat ist das schon eine strategische Aufgabe. Denn es gibt keinen stärkeren Kitt als die Sprache, um den Archipel zusammenzuhalten.

Ihr auffälligstes Merkmal ist ein stark rollendes „r“, bei dem sogar die Spanier vor Neid erblassen müssen. Manche nennen Bahasa Indonesia ein Kunstprodukt, was einerseits stimmt, andererseits auch wieder nicht. Schließlich hat auch das Indonesische eine Mutter, wie Mahsun erklärt. Bahasa Indonesia ist eine modernisierte und fortentwickelte Form des Malaiischen, das schon früh als eine Art Lingua Franca im Archipel gesprochen wurde, vor allem von den Händlern. Diese Sprache war in ihren Grundzügen leicht zu lernen, sie existierte als Werkzeug fürs Geschäft, gesprochen wurde sie nur von wenigen. Viel gewichtiger waren die gewachsenen Sprachen auf den großen Inseln. Vor allem auf Java, wo sechzig Prozent der Indonesier leben.

Hätte es da nicht nahegelegen, Javanisch als Sprache für ganz Indonesien zu wählen? Mahsun schüttelt energisch den Kopf. „Das wäre nie geglückt“, sagt er. Es fängt schon damit an, dass auf Java nicht allein Javanisch gesprochen wird, sondern mehrere weitere Sprachen. Aber auch Kräfte auf den anderen Inseln hätten es nicht akzeptiert, eine lokale Sprache zur Amtssprache zu machen. Es musste ein möglichst neutrales Mittel der Kommunikation gefunden werden. So griff man das Malaiische auf, das niemanden bevorzugte.

(…)

Doch der antikoloniale Nationalismus, der zu keimen begann, brauchte für die Vision der Freiheit auch eine Klammer. Bereits 1928 legten sich die jungen Rebellen darauf fest. Sie wollten eine Nation schaffen – und zugleich auch eine einheitliche Sprache. „So kam Bahasa Indonesia in die Welt“, sagt der Linguist. Das war die Geburt der Sprache aus dem Geist der Rebellion. Und eine „Geburt ohne Schwangerschaft“, wie Mahsun anmerkt. Denn die Väter der Nation haben das Indonesische ihrem Land nach der Unabhängigkeit 1949 einfach übergestülpt. Indonesisch war nun Amtssprache, aber ein sehr zartes Kind. Bahasa Indonesia umfasste 1953 nur 23 000 Wörter. Der Staat hat sie fortan gepäppelt, vor allem in den Schulen. Lokale Sprachen werden dort nur in den unteren Klassen unterrichtet, Indonesisch aber bis zum höheren Abschluss. Und an den Universitäten sowieso. So wuchs der Wortschatz auf 440 000 im Jahr 2008. Bahasa Indonesia sog viele Begriffe der lokalen Sprachen auf, wurde aber auch durch technische Wendungen stetig erweitert.

Viele junge Leute, die man heute trifft, haben nichts anderes mehr gelernt als Bahasa Indonesia, vor allem, wenn ihre Eltern aus verschiedenen Regionen stammen und in den Ballungsraum Jakarta gezogen sind, wo heute 30 Millionen Menschen leben.

Bahasa Indonesia ist auch die Sprache, in der heute die meisten Autoren schreiben. Die Kultur des Lesens gewinnt an Gewicht, ist aber begrenzt. Denn traditionell ist es eher so, dass die Indonesier Geschichten lieber hören als lesen. Dichter, die Lyrik vortragen, locken manchmal sogar die Massen an. Der Autor Agus Sarjono erinnert sich an legendäre Auftritte des Poeten und Dramatikers Willibrordus S. Rendra, der auch immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch war. Mit Charisma und Pathos verlieh der Dichter seinen Werken eine Wucht, die Sarjono nicht vergessen hat. Rendra strahlte aus auf kommende Generationen, auf Kollegen wie Sarjono, die sehr viel mit Lyrik experimentieren. / Arne Perras, Süddeutsche Zeitung 12.10.

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