73. In Charkow

In Charkow, der Stadt, in der ich lebe, herrscht kein Krieg. Es gab hier im Frühling Demonstrationen, Massenprügeleien, Versuche, eine „Volksrepublik“ auszurufen. Gebäude wurden besetzt, Staatsfahnen heruntergerissen, es gab Aufrufe, Charkow soll sich Russland anschließen. Diese „Volksrepublik“ wurde ziemlich hart durch ukrainische Sicherheitskräfte beseitigt. Die kamen nicht aus Charkow sondern aus Winniza. Heute können die Bewohner von Charkow dem Schicksal danken, dass das Abenteuer mit der „Volksrepublik“ gescheitert ist, dass die Stadt nicht von irgendwelchen „Kosaken“ übernommen wurde, die jetzt den Donbass terrorisieren.

Die Behauptung, ganz Donbass würde die Separatisten unterstützen, ist falsch. Die nördlichen Gebiete des Lugansker Umlandes etwa standen von Anfang an sowohl den selbsternannten Gouverneuren wie der Idee des Referendums skeptisch gegenüber. Heute ist es so, dass es in den Orten, wo es keinen Separatismus gibt, auch keine Bombardements gibt. Ich stamme aus dem Lugansker Umland, wo die Separatisten nichts zu sagen haben, dort leben meine Freunde, meine Verwandten. Natürlich beruhigt mich die Tatsache, dass sie all diese Zeit unter dem Schutz der ukrainischen Nationalgarde leben. Meine Freunde in Donezk und Lugansk dagegen kann nur der Zufall schützen. / Serhij Zhadan, Süddeutsche Zeitung

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