Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Sappho war die einzige Frau im 9köpfigen ersten Kanon der europäischen Lyrik im hellenistischen Zeitalter neben Alkman, Alkaios, Anakreon, Stesichoros, Ibykos, Simonides, Pindar und Bakchylides. Neun Bände umfaßte ihre Werkausgabe, aber nur ein Gedicht überlebte vollständig. Schon zweimal in den letzten 15 Jahren tauchten größere Teile weiterer Gedichte auf, nach über 2600 Jahren wunderbarerweise. Jetzt scheint es schon wieder der Fall zu sein. Ein anonymer Privatsammler in London zeigte dem Papyrologen Dirk Obbink (Oxford) ein Papyrus, auf dem sich größere Fragmente von zwei Gedichten befinden. Der eine, anscheinend fast vollständige Text handelt von ihren Brüdern, der andere, sehr fragmentarische von unerwiderter Liebe. Obbink ist sich sicher, daß die Texte auf einem etwa dem dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung entstammenden Papyrus „zweifellos“ von Sappho stammen, da sie einerseits zu bereits bekannten Fragmenten passen und andererseits in Metrum und Dialekt auf Sappho hinweisen. Vor allem aber weil in einem der Texte auf ihren Bruder Charaxos verwiesen wird – ob er wirklich existierte, wurde mitunter bestritten, weil er in keinem bisher bekannten Fragment erwähnt wird. Der Geschichtsschreiber Herodot nennt seinen Namen im Zusammenhang mit einem Gedicht, das von einer Affäre zwischen ihm und einer ägyptischen Sklavin handele. Das jetzt aufgefundene ist zwar nicht das bei Herodot erwähnte, nennt aber ihn und ihren anderen Bruder Larichos.
Anders als viele andere Texte wurden Sapphos Gedichte nicht von mittelalterlichen Mönchen abgeschrieben und gingen so verloren. Fragmente überlebten in Zitaten antiker Schriftsteller sowie auf Papyrusfragmenten und Tonscherben. Man hofft auf weitere Funde, die im trockenen Wüstensand die Jahrtausende überdauerten.
Obbinks Artikel mit einer Transkription der Originale wird in der Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik erscheinen.
Der Guardian veröffentlichte am 29.1. neben der Nachricht (http://www.theguardian.com/world/2014/jan/29/sappho-ancient-greek-poet-unknown-works-discovered) einen der Texte in englischer Übersetzung (http://www.theguardian.com/books/2014/jan/30/read-sappho-new-unknown-poem-papyrus-classical). Für L&Poe (https://lyrikzeitung.com/2014/01/21/76-sappho-fund/) hat Dirk Uwe Hansen dieses Fragment nach einer italienischen Internet-Meldung übersetzt.
Schwedischer Blogbeitrag (http://venanzio.wordpress.com/2014/01/29/nytt-material-av-sapfo-igen/)
Hier noch einmal Hansens „schnelle und noch etwas rauhe“ Übersetzung:
Doch immer und immer wieder sagst du, Charaxos komme
mit einem vollbeladenen Schiff; das weiß, glaube ich, Zeus
und es wissen die Götter alle, du aber musst so
etwas nicht denken.
Mich aber sollst du schicken und mich bitten
lassen, innig, die Herrin Hera,
dass er hierher kommt und sein Schiff
heil zurückbringt
und uns gesund wiederfindet. alles andere
überlassen wir lieber den Göttern, denn
ruhiges Wetter entsteht oft schnell nach
gewaltigen Stürmen.
Denen der König des Olymp einen Beschützer
schicken will, der sie aus Gefahren rettet,
die werden glücklich
werden und reich.
Auch wir, wenn Larichos seinen Kopf
erhebt und einmal zum Mann wird,
dann werden sicher auch wir von großer
Sorge erlöst.
———-
ἀλλ’ ἄϊ θρύλησθα Χάραξον ἔλθην
νᾶϊ σὺμ πλέαι· τὰ μέν̣, οἴο̣μα̣ι, Ζεῦς
οἶδε σύμπαντές τε θέοι· σὲ δ᾽οὐ χρῆ
ταῦτα νόεισθαι,
ἀλλὰ καὶ πέμπην ἔμε καὶ κέλ⟦η⟧`ε ́ςθαι
πόλλα λίσσεσθαι̣ βασί̣λ̣η̣αν Ἤρ̣αν
ἐξίκεσθαι τυίδε σάαν ἄγοντα
νᾶα Χάραξον,
κἄμμ’ ἐπεύρην ἀρτέ̣ μ̣ εας· τὰ δ’ ἄλλα
πάντα δαιμόνεσσι̣ν ἐπι̣τ̣ρόπωμεν·
εὐδίαι̣ γὰ̣ρ̣ ἐκ μεγάλαν ἀήτα̣ν̣
αἶψα πέλ̣̣ο̣νται·
τῶν κε βόλληται βασίλευς Ὀλύμπω
δαίμον’ ἐκ πόνων ἐπάρ{η}`ω ́γον ἤδη
περτρόπην, κῆνοι μ̣άκαρες πέλονται
καὶ πολύολβοι.
κἄμμες, αἴ κε τὰν κεφάλαν ἀέρρῃ
Λάριχος καὶ δήποτ᾽ἄνηρ γένηται,
καὶ μάλ’ἐκ πόλλ⟦η⟧`αν ́ βαρ̣υθύμ̣ιάν̣ κεν
αἶψα λύθειμεν.
Es gibt jetzt auch eine Übersetzung von J. Svenbro im Netz:
http://www.svd.se/kultur/understrecket/fem-strofer-av-sapfo-och-en-av-svenbro_3314674.svd
LikeLike
Pingback: Textkette 0 | Textkette
Pingback: 98. Textkette 0 | Lyrikzeitung & Poetry News