Ohne Kontext

Kritisch sieht die Neue Zürcher die Übersetzung der Gedichte Bai Daos:

Nun ist, ebenfalls in Kubins Übersetzung, der Gedichtband «Post Bellum» erschienen, der Bei Daos seit 1989 – in verschiedenen europäischen Städten sowie in Kalifornien – entstandene Lyrik sammelt, und promptist er als «Buch des Monats» auf der SWF-Bestenliste gelandet.

Das ist zwar kein Nobelpreis, aber doch ein symbolischer Akt ausgleichender Gerechtigkeit – oder Ungerechtigkeit: Denn die Begeisterung der Juroren lässt sich nicht so recht nachvollziehen. Nicht etwa, weil die Gedichte schlecht wären. Vielmehr lassen sie sich anhand der vorliegenden Ausgabe gar nicht beurteilen. Kubins Edition der hermetischen, mithin nicht ohne weiteres zugänglichen Lyrik enthält nämlich weder den Originaltext, noch gibt sie Auskunft über dessen metrische Form und Metaphorik, über die Stilebene und den Umgang mit traditionellen Mustern und Regeln, über Anspielungen und Zitate, auch den Einfluss westlicher Literaturen, kurzum über den ganzen mitschwingenden Kontext, der im Deutschen notwendig ein anderer ist. Sie erläutert keinen einzigen Vers, sondern tut so, als wäre ein Gedicht halt ein Gedicht und Bei Daos Werk Teil einer jedermann zugänglichen lingua franca der modernen Poesie. Das aber ist schlichtweg falsch.  / Manfred Papst, NZZ 19. Juni 2001

Bei Dao: Post Bellum. Gedichte. Deutsch von Wolfgang Kubin. Hanser-Verlag, München 2001. 85 S., Fr. 26.30.

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