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Zum 200. Todestag des deutschen Dichters Friedrich Müller, genannt Maler Müller (* 13. Januar 1749 in Kreuznach; † 23. April 1825 in Rom), hab ich eine kleine groteske Szene aus der Idylle „Das Nusskernen“ herausgesucht. Die Geschichte ist in Kürze die.
Der junge Leander schleicht sich nachts zu einem Fenster, an dem Meline, seine Geliebte, steht. Sie zögert aus Angst, dass sie jemand belauscht, aber schließlich hilft sie ihm doch herein. Crispin, ein älterer, zurückgewiesener Verehrer von Meline, beobachtet eifersüchtig die Szene und gerät in Wut und Verzweiflung. Er erwägt, sich umzubringen, aber dann sieht er die Lächerlichkeit der Situation und seiner Rolle darin ein und endet in Spott und Hohn und Selbstironie. Es liest sich über weite Strecken wie eine Opernparodie. Da war ihm auch noch zu allem Unglück der Nachttopf umgefallen!
Ist mir ein Schandzeug!
O Höll, o Schmach!
Was? Ist er wirklich hinein?
Mein Seel, wie der Fuchs in Hühnerschlag!
O Hexe, o Falsche!
Vetter! Spitzbub! O weh!
Crispin! Was tust? ... Ja was?
Geh, alter Narr ... steh ... nein, geh ...
Erhenk dich! Stürz dich in Bronn! ...
Vom Fenster runter? Hum! Ziemlich hoch! –
Ein Pistol her! ... Nein, bohr mir lieber ein Loch,
Daß heraus kann der garstige Liebesgeist!
Armer alter Mann!
Das alles selbst anzusehn!
Über die Weil soll nachher
Gar noch zu Gevatter stehn!
Desperat! ... Doch halt, Crispin!
Besinne dich! ...
Eines Mädels wegen dich umzubringen?
Erhängen, ich, mich?
O Schand für 'nen Philosophen!
Was liegt mir dran?
Besser, die Hexe jetzt untreu,
Als wär ich ihr Mann.
Aber verfluchter Vetter! ...
Doch einerlei!
Hinweg dann, Liebe, höllische Liebe,
Ihr Grillen vorbei! ...
Könnt ich nur recht lustig sein,
Ich schert mich nichts drum!
Wollt gern recht schimpfen,
Ich weiß, es ist dumm.
Muß halt eins bechern!
Die werden itzt
Drinnen zusammen sein ...
Was ich schwitz! ...
Da dacht ich nun wirklich,
Hätt's sauber erwischt;
Meint mich auf Rosen,
Und lieg auf dem Mist.
Nehmt all ein Exempel,
Ihr, wer hier schaut:
So gehet's, wenn einer
Auf Mädchentreu baut.
Ungetreu das Mädel,
Der Nachttopf entzwei –
Der Henker hol 's Lieben!
Nun bleib ich dabei!
Aus: Friedrich (Maler) Müller: Idyllen. Leipzig: Reclam, 1976, S. 185f. (Hier online)
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