Zufälligkeit mindert ja nicht

Johanna Schwedes

Zufälligkeit mindert ja nicht 
die Schärfe einer Rasierklinge
oder die Erinnerung deiner Hand 
an meiner Schläfe
aber du möchtest wie Rauch aus einer Kaliber ‘38
im Kosmos aufgehen und versicherst dabei 
alles, wirklich alles 
geschehe mit gutem Grund.
Während du allverbunden auf dem Sofa 
wie Kautabak deine Zunge im Mund hin und her bewegst
öffne ich ein Fenster (nein, nicht in meinem Kopf.
Das zweite, zur Straße hin) und hole Luft.
Fühlt sich etwas an wie eine Rasierklinge an der Nase 
(könnte ich dir aufs Sofa werfen)
und mit dem Ton (fiuuuup)
eines Vogels mit schwarzem Kopf 
und Autos und Wind und der Unvereinbarkeit
dieser zwei Rauschen
fällt mir, Ellenbogen aufs Fensterbrett
Gedanken in so was wie imaginäre Hände gestützt 
ein kantiger Stein, Stein
vom Dorfstraßenrand, Staub drauf und kleben gebliebene 
Mücken und Spucke von einem wütenden Kind 
scharfkantig die Kehle herunter 
durch die Speiseröhre in den Magen 
und ich möchte 
überhaupt ich möchte nur 
eine Schleuder finden, den Stein 
in hohem Bogen aus dem Fenster! 
auf dass er ein Loch schlägt 
in den Gesang des armen schwarzstirnigen Vogels 
und heraus schält sich der Himmel 
wie eine Umarmung 
aber das verkneife ich mir

Aus: Jahrbuch der Lyrik 2022. Hrsg. Matthias Kniep und Nadja Küchenmeister. Frankfurt/Main: Schöffling, 2022, S. 82

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..