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Jan Brandt, taz 17.1.04, über die Münchner Literaturszene:
Schriftstellergruppen, die regelmäßig in der gleichen Zusammensetzung auftreten, wie „LSD – Liebe statt Drogen“, „Die Chaussee der Enthusiasten“ und „Heim & Welt“ aus Berlin oder der Hamburger „MACHT e. V. Club“, gibt es in der bayrischen Landeshauptstadt nicht. Deshalb werden Vorleser aus ganz Deutschland gecastet, um den Münchnern einen Hauch von Subkultur und literarischer Exotik zu vermitteln. … Jede Lesung, die vom Jugendmagazin „Zündfunk“ des Bayrischen Rundfunks aufgezeichnet wird, steht unter einem Motto: „Metropole Spezial“, „Wien Mitte“ oder „Hansestadt Hamburg“. Das Fehlen einer großen Zahl eigener Autoren wirkt umso seltsamer, wenn man bedenkt, dass München mit 234 Buchunternehmen und fast 9.000 Titeln pro Jahr hinter New York die zweitgrößte Verlagsstadt der Welt ist. Hanser, Random House, Heyne, C. H. Beck, Kunstmann und Piper haben ihre Büros an der Isar. Nur Ullstein zieht bald zurück an die Spree. Gedruckt wird in München, geschrieben im Rest der Republik, vor allem in der Hauptstadt. Tina Rausch und Bernhard Schneider haben sich die Lesekultur Berlins zum Vorbild genommen. … Und um sich nicht immer an Berlin zu orientieren, versucht man inzwischen in Schreibseminaren, die „textwerk“, „WorDshop“ und „manuskriptum“ heißen und von Verlegern und Lektoren betreut werden, eigene Autoren auszubilden. Altes und Junges, Eigenes und Fremdes wird vermischt, um etwas Originelles entstehen zu lassen. Die Adaption ist Teil einer neuen Münchner Freiheit, die traditionelle und unkonventionelle Formen der künstlerischen Darstellung kombiniert. Noch ist der Kulturaustausch ziemlich einseitig, aber Jaromir Konecny ist zuversichtlich, dass trotz eines Mietpreises von 10 bis 12 Euro pro Quadratmeter immer mehr Künstler herziehen werden. Seiner Ansicht nach stammt ohnehin fast jeder richtige Münchner aus Berlin.
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