Es hat mal einen Ernst gegeben

Elsa Baroness von Freytag-Loringhoven

Elsa von Freytag-Loringhoven, geb. Elsa Hildegard Plötz, (* 12. Juli 1874 in Swinemünde; † 15. Dezember 1927 in Paris)

[Ernst Hardt]

I.
Es hat mal einen Ernst gegeben
Der war für mich das Salz zum Leben.
Doch eines Tages krass und jäh
Verließ er mich und ging zur See.
II.
Nicht daß er etwa als Matrose
Die Welt durchflog, die grenzenlose.
O Gott — ich sage, die Idee!
Er ging als Passagier zur See.
III.
Er ging direkt bis nach Athen,
Um seine Hochzeit zu begehn.
Das Mädchen, das dazu erkoren,
War nämlich in Athen geboren.
IV.
Ihr Temperament kam nie ins sieden.
So sehr war sie von mir verschieden.
Auch hatte sie, in Ernst vernarrt,
Auf Ernsten wartend ausgeharrt
V.
Der sieben Jahre ohne Zucken,
Auch ohne frech sich umzukucken
Nach andern, um damit zu flirten,
Und drum, um dieser unerhörten
VI.
Schätze von Tugend allerhand,
Zog Ernst zur See nach Griechenland.
Ich ging mit Richard in die Schweiz,
Die hat doch immer ihren Reiz.
VII.
Und Richard hatte Sympathie
Mit meinem Leid, und zeigte sie.
Auch hatte er das Geld bereit
Zum Trost in einer solchen Zeit.
VIII.
Am bläulichen Lugano See
Tat mir die Sehnsucht ernstlich weh.
Im Flieder sang die Nachtigall,
Da war es aus und war es all.
IX.
Ich legte mich auf kalte Fliesen
Und schrie nach Ernst und wünschte diesen.
Und als ich so nach Ernsten schrie,
Kam Richard mit der Sympathie
X.
Und mit dem Geld, der liebe Bengel,
Er war ein absoluter Engel.
Er war mir Stütze, Stab, und Ruder,
Er war so gut als wie ein Bruder.
XI.
Ein Glück, daß ich den Richard hatte!
Er war so gut als wie ein Gatte.
Mit diesem Gelde reist‘ ich Meilen
Und Meilen — Ernsten zu ereilen,
XII.
Der noch in Dresden was besorgte.
Ich glaube, daß er sich was borgte.
Er konnte nämlich gar nicht sparen.
Er konnte nur in Droschken fahren,
XIII.
Um sich nicht seelisch zu besudeln
Und dichterisch zu übersprudeln.
Er war erst grade ausgewachsen,
Und er bekam dies Geld aus Sachsen.
XIV.
Doch nein, ich irre mich, aus Mainz.
Ernst hatte Geld so gut wie keins.
Sogar das Geld die Braut zu frein
War er genötigt, sich zu leihn.
XV.
Der Richard war sein Freund gewesen,
Er hatte auch sein Stück gelesen:
„Der Zank ums Zuckersüß“ genannt,
Und weil er nichts davon verstand,
XVI.
Ich meine Richard, Ernst — na, ja,
Doch das ist weder hier noch da.
Ich kritisiere hier kein Stück,
Ich klage um zerflognes Glück,
XVII.
Und überhaupt, das ganze Dichten
Hilft nicht den Lebensknoten schlichten.
Es ist nur, daß der Dichter klag‘
Um etwas, daß er nicht mehr mag.
XVIII.
Ich sage es ganz ohne Zieren,
Ihr könntet mir den Ernst servieren
Mit Lorbeerkränzen und mit Bitten,
Umsonst — ihr hättet euch geschnitten,
XIX.
Ihr hättet euch gemein verhauen,
Ich kann sein Dichten nicht verdauen.
Ich mache euch hier keine Flusen,
Ich kann sein Dichten nicht verknusen.
XX.
Doch damals, laßt es mich bekennen,
Ob mir vor Scham die Backen brennen,
Hätt‘ er gedichtet wie die Tante,
Wie heißt sie doch, na, die bekannte
XXI.
Ihr habt sie alle ja gelesen, die Natalie,
Hätt‘ er gedichtet so wie die,
Oder gechattert wie Karl May
Es war mir gänzlich einerlei,
XXII.
Es war für mich gar keine Chose,
Es war mir Jacke so wie Hose.
Es kam mir gar nicht in die Kiepe,
Es war mir schnurz, es war mir piepe.
XXIII.
Und lautete es monscheinharfen-prächtig,
Es war mir höchstens sehr verdächtig.
Was ging mich das Gesäusel an,
Er war der heiße Sonnenmann.
XXIV.
Sah er mich an mit Strahlenaugen,
Mußt‘ ich an seinen Lippen saugen.
Wie Trunkenbolde an ’nem Bittern.
Wir faßten uns, um loszuzittern.
XXV.
Ich war kein Mensch, ich war ein Schlauch,
Fest drängt‘ ich mich an seinen Bauch.
Schluchzjauchzend wie es Dichterbrauch
Tat er es schießlich, endlich, auch.
XXVI.
Dies war des Weltbaus Zweck und Sinn,
Und deshalb ging ich immer hin,
Und deshalb kam er zag und zier
Voll Sinnenlust auch hin zu mir.
XXVII.
Nach Keuschheit doch so [sehr] verlangte,
Weil es ihn um sein Dichten bangte.
Drum muß ich heut‘ mich noch beschweren:
Die in Athen konnt‘ ihn entbehren.
XXVIII.
Wer sieben Jahre warten kann,
Braucht überhaupt doch keinen Mann,
Der sieben Jahre langes Warten
Läßt Liebe zum Fantom entarten.
XXIX.
Sie konnte pudelselig sein
Mit dem Fantom, der Ernst war mein.
Ich hatte ihn mir glatt erworben,
Ich wäre süß für ihn gestorben.
XXX.
Ich hätt‘ das Leben ihm gegeben,
Viel besser als Polly in Theben.
Ach nein, Athen; doch im Exzesse
Hieb er mir einstmals in die Fresse,
XXXI.
Aus Dichtergram und Hysterei,
Verlangend nach der Polizei.
Drum ging ich mit dem Richard reisen,
Und überließ ihn seinen Preisen
XXXII.
Und seiner Braut aus Mondenschein
…………………………………pottallein.

Aus: Freytag-Loringhoven, Else von. „Es hat mal einen Ernst gegeben…“ / „Once there was a man called Ernest“: Satirical account of her affair with Ernst Hardt, 1896-98. e-Ed. & Tr., Gaby Divay & Jan Horner. Winnipeg: University of Manitoba, Archives & Special Collections, ©2000.
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