7. Wie gehts der Lyrik?

Ich frage Andreas Heidtmann. 2005 gründete er die Online-Plattform poetenladen, ein niedrigschwelliges Angebot für junge Schreibende, 2007 den gleichnamigen Verlag und die Literaturzeitschrift poet. Bei ihm veröffentlichten Judith Zander und Nora Bossong schon, als sie noch Unbekannte waren. In der Lyrik der Gegenwart erkennt Heidtmann verschiedene Strömungen: eine avancierte Poesie, „eine sprachexperimentelle Richtung“, repräsentiert durch Dichter wie Norbert Lange und Mara Genschel, deren Gedichte stark von der Arbeit mit der Sprache leben. „In diesem Bereich würde ich auch die Sprach-Archäologen ansiedeln, die bereits vorhandenes Material neu arrangieren, etwa Michael Fiedler.“ Lyriker wie Jan Wagner oder Ann Cotten, „die bewusst Formen aufgreifen und damit auf neue Weise spielen“, ordnet er einer formbedachten Poesie zu. Die meisten jungen Lyriker sieht er als Vertreter einer reflektierten Poesie: „Die arbeiten mit einem avancierten Anspruch, verweigern sich aber nicht dem Leser. Es gelingt ihnen auf hohem sprachlichem Niveau eine Poesie zu entwickeln, die gleichermaßen neu wie reflektiert ist.“ Hier nennt er etwa Ulrike Almut Sandig und Tom Schulz. „Ganz wichtig sind auch jene, die abseits der Metropolen stehen, die aus dem Ausland oder aus gewissen Weltanschauungen kommen und der Dichtung immer wieder entscheidende Impulse vermitteln, wie Manfred Peter Hein oder Christian Lehnert.“ Heidtmann spricht von einer Poesie der Peripherie. Aber auch die traditionelle Poesie gebe es nach wie vor: „Einige Dichter arbeiten sehr klassisch, etwa Alexander Nitzberg, Lutz SeilerDaniela Danz.“

(…) „Man liest ein Gedicht am besten ohne Ehrfurcht“, meint der Berliner Dichter Björn Kuhligk, Mitherausgeber der wegweisenden Anthologie „Lyrik von Jetzt“. Monika Rinck, Preisträgerin zuletzt des Berliner Kunstpreises Literatur, sagt, es gebe keine „richtigen“ oder „falschen“ Deutungen. „Es ist eher so: Eine Person nimmt Kontakt auf zu einem Gedicht und hat einen neuen Gedanken. Wie: ,Man könnte Teiche nehmen, sie hochkant stellen und wegtragen!‘“ Als ich sie frage, ob eines ihrer Werke schon einmal grob fehlinterpretiert worden sei, erzählt sie von ihrem Gedicht „Trainingsziele“, in dem ein Mädchen sich seiner sexuellen Abenteuer rühmt, zuletzt einer Nacht mit dem „king of hallenfrisbee! […] im geräteraum der mehrzweckhalle bourg en bresse“. Was Rinck als eine Reihe von Triumphen angelegt hatte, deutete eine Redakteurin als Niedergang. Tom Schulz, dessen jüngstes Buch „Innere Musik“ gerade im Berlin Verlag erschienen ist, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Man hat mir schon einmal vorgeworfen, ich würde alten Menschen feindlich und bösartig gegenüberstehen, weil ich das Wort ,Kaltmamsell‘ verwendet habe. Aber ich finde es gut, wenn sich nicht alle über meine Texte einig sind. Das ist demokratisch.“ / Elisabeth Dietz, Bücher

11 Comments on “7. Wie gehts der Lyrik?

  1. Gestern ging’s der Lyrik gut. Sie hütete das Ghasel der Lieblichkeit, nahm dann drei Tammtammtabletten und shakespearete ab (up) dahin, wo die Schmerzissen blühen. (Nicht Berlin!)

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  2. Unverschämte Frage! Berlin ist das Zentrum Teutscher Poesie. “Einer muss ja sagen, wo’s langgeht.“ Etwas dem 1. FC Bayern München Vergleichbares gibt es hier auch, samt Jugendabteilung. Es ist herzallerliebst vollgeil hier. Hoffentlich wird’s nicht noch besser.

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  3. es gibt die und die, und dann noch die… und die… – ist wie Schmetterlinge fangen

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      • 🙂 Schöner Kommentar!

        Dieses „ohne Ehrfurcht“ – ich halte viel davon, wenn es auch nicht gleichbedeutend ist mit „ohne Respekt“ – das könnte man ja vermuten, aber so verstehe ich es nicht. Ich denke, es ist wichtig, – face – to – face – zu schreiben, zu lesen, zu sprechen. Auch in den Gedichten, auch in der Prosa. Ich mag das Abgehobene, Elitäre nicht, dafür aber gern das Absurde, Besondere, auch das Alltägliche, sofern es überhaupt existiert. Elitär heißt für mich keineswegs besonders, im Gegenteil sogar. Ich finde, dass ein Gedicht zwar besonders, aber nicht elitär sein sollte. Es steht nichts von Elitär oben im Text, aber es steht etwas von „ohne Ehrfurcht“. Und „ohne Ehrfurcht“ zu lesen, wie auch zu schreiben, das heißt für mich: Ehrlich zu sein, auf Augenhöhe zu schreiben, in Kontakt zu treten und nicht von einer Art Dichterkanzel zu predigen oder dergleichen – weiß nicht, ob ich mich verständlich machen konnte.

        Grüße nach Greifswald von der Beobachterin

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  4. Im Text heißt es: Man liest ein Gedicht am besten ohne Ehrfurcht“, meint der Berliner Dichter Björn Kuhligk

    … und genau so sollte man es auch schreiben. Face-to-face, auf Augenhöhe.

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