Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Veröffentlicht am 28. Dezember 2013 von lyrikzeitung
27.12.2013, 22:58 Uhr · Kann man beschreiben, was nachts auf der Tanzfläche in einem vorgeht? Die Dichterin Martina Hefter kann es. Jan Wagner tanzte als Kind mit der Mangelwäsche. Wie das ging, steht hier auch.
Der Winter, nicht der Sommer birgt die schönsten Tage zum Lesen von Gedichten. Es ist früh dunkel, es ist kalt, Weihnachten ist vorüber. Aber Sylvester scheint noch weit zu sein, das neue Jahr ein Phantom. Nichts und niemand könnte uns ablenken. Die Zeit steht still. Jesus liegt in seiner Krippe, die Theater spielen bloß Komödien. Die Museen sind zu voll. Der Baum duftet. Wir wollen nichts essen und nichts kaufen und nichts einlösen und nichts umtauschen. Wir wollen nur lesen. Wir wollen nur Gedichte.
Von Martina Hefter und Jan Wagner stammen die hier wiedergegebenen Gedichte. Es sind Tanzgedichte! Wenn auch auf sehr verschiedene Weisen. Den Werken sind biographische Hinweise vorangestellt. / Wiebke Hüster, faz.net
Kategorie: Deutsch, DeutschlandSchlagworte: Jan Wagner, Martina Hefter, Tanz, Tom de Toys, Wiebke Hüster
Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..
Kann zu diesem Blog derzeit keine Informationen laden.
Pingback: 119. Mehr Tanzgedichte | Lyrikzeitung & Poetry News
schön, daß diese etwas experimentelle, jedenfalls empirische methode mal wieder von jemandem aufgegriffen wird!!! darf ich ergänzen? ein echtes tanzgedicht von 1996, als ich in einer wuppertaler technodisco BEIM TANZEN auf der tanzfläche mit papier und kugelschreiber ausgerüstet (heute wärs mit handy leichter) versuchte zu verarbeiten, wie deplatziert ich mich fühlte, von lauter grinsenden oder megacoolen schickimicki drogis umgeben, die da stupide nebeneinander her tanzten, total autistisch kontaktlos, wie eine hypnotische herde im gleichtakt zum schweren bass-gewummer:
Tom de Toys, 19./20.7.1996
DELi!Ri!UM
erlebnisgeil
bewegungsgeil
menschengeil
berührungsgeil
lärmgeil
einsamkeitsgewohnt
WOCHENENDE
IN DER STADT
wart auf mich
wart auf mich
bis morgengrauen
angst verdauen
labergeil
drogengeil
autogeil
kaufgeil
rauschgeil
weil weil weil
DAS LEBEN IST KURZ
EIN KOSMISCHER FURZ
bis gleich
bis gleich
wie wärs
mit einem gesellschaftsspiel
im liegen
im sitzen
im stehen
im gehen
und wer versucht
das moderne
zu verstehen
mir ists zu viel
mir ists zu viel
mir ist zum kotzen
mir ist zum schreien
zum weglaufen
die haare raufen
bloß nicht besaufen
bloß nicht besaufen
denn ich bin
wahrheitsgeil
zukunftsgeil
atmungsgeil
atmungsaktiv
porentief rein
ICH BIN DAS
DICHTERMONSTER
das anspruchsvoll
tiefsinnig schrecklich
komplex komplizierte
mit fremdwörtern
gespickte
sprachgenie ich
vergnüge mich nie
ich schlafe nie
ich träume immer
den großen traum
mit mund voll schaum
mit hirn voll raum
mit seele wie baum
ohne herz
ohne schmerz
ein utopischer scherz
wir lachen uns tot
wir lachen ihn aus
der heilige redner
brennt lichterloh
braucht kein applaus
seine buchstaben
in flammen und
dann und wann
ist wieder frieden
ist alles aus
die glühenden wangen
mit liebe gekühlt
da sind wir alle
riesig froh
jetzt wird erstmal
ordnung gemacht
und gespült
in dieser welt
nicht meine welt
nicht deine welt
nicht unsere
nicht unsere
wir sind so
wahngeil
im aufgelösten
innenraum
der tausend seelen
tausend leeren
das unendliche
bewußtsein naht
ist immer da
ist immer wahr
das sein entstellt
das sein verrät
erfundene probleme
und erfundene gedanken
ÜBERALL IST ÜBERALL
DIE NACHT IST HELL
die nacht wird heller
licht durchflutet
jede pore ewigkeit
DAS UNIVERSUM LEUCHTET
jeder mensch für
sich und alle
dann zusammen
MENSCHEN
ÖFFNET EUCH
das leben ist
das leben ist
das leben
leben schön
so schön
ich kann dich sehn
du kannst mich sehn
wir treffen uns
da wo wir sind
wo sind wir denn
wo sind wir denn
sind wir schon
alle da
alle da
sind wir schon
alle wahr
alle wahr
(c) Entnommen aus: „JEDER MENSCH IST HEILIG“ G&GN, Düsseldorf 1997
LikeLike
ausgiebig betrunken, immer schön an die GROßschreibung denkend durchpubliziert. Ein Utz trifft den Ton.
LikeLike