3. Poesie und Preise · Und eine Reise zum FIXPOETRY.Verlag nach Hamburg

Dieser Essay widmet sich zum einen, dem lite­rari­schen Buch­programm des 2011 von Julietta Fix in Hamburg ins Leben gerufenen FIXPOETRY.Verlags, das mich gleich mit mehreren druck­frischen Büchern vom Hocker reißt, zum anderen schallt die eine oder andere Frage hinsicht­lich der Vergabe von Literatur­preisen, die sich während der begeis­ternden Lektüre von Brigitte Struzyks bei FIXPOETRY erschie­nenem Gedichtbuch alles offen hartnäckig, querköpfig, unduldsam hinter der Stirn plaziert, in den von allerlei Getier bevöl­kerten Wald im Hinter­land hinein. …

Das Gedicht material comfort begeistert mich derart, daß ich es wieder und wieder lese – allein schon diese Auftakt-Verse: and against all odds / i did find god. Die ›phantastische‹ alliterative Kombination phlogiston flowers wirkt im Zusammen­hang der Verse elektrisch aufge­laden, gleichsam mag­netisch zieht sie mich an wie die ehemalige 100-Watt-Glühbirne das Insekt, und ich lese, „bis die Wimpern vor Müdig­keit leise klingen“ (Elias Canetti). Flowers / pebbles … are the all-powerful paradoxical stone / exothermic needs / child’s delight / silence / fault in the firing – material comfort ist, in Worteinheit mit dem anschlie­ßenden Gebet appropriate alpha­betical, ein Gedicht, das ich mit Wonne lese. – This graphic book of remembrance is a book against seas of oblivion. I whisper: Thank you.

Der FIXPOETRY.Verlag hat also angefangen, so richtig Dampf zu machen: Mit Johannes CS Franks Erinnerungen an Kupfercreme, Susanne Eules‘ ubern ruckn des antlantiks den rand des nachmittags und Brigitte Struzyks Drachen über der Leninallee, alle im März 2012 erschienen, steigt der Verlag bereits ein Jahr nach der Gründung in die erste Liga der jungen Lite­ratur­verlage im deutschen Sprach­raum auf. Und für die Leser, die der Vergleich mit dem Sport befrem­den mag (denn Sport ist bekannt­lich auch Mord – Literatur etwa nicht?), formuliere ich es so: Das sind Bücher, denen ich nach dem für alle Bücher selbst­ver­ständ­lichen Willkommensgruß so richtig gern Unterschlupf biete in meinem kleinen Wörterhaus. Das sind Bücher, die mich auf- und erregen, die den Meta­bolismus dermaßen in Schwung bringen, daß ich auf einmal wieder federleicht durchs Dasein schwebe und Mrs Columbo mit Jubelrufen auf die Nerven gehe (hoffent­lich nicht …). Auch Jan Deckers Buch Der Abdecker mit Essay, Lyrik und Prosa schlägt eine ganz eigen­wil­lige Tonart an, deren Sequenzen ich sehr gerne folge. Christine Hoba ist eine feine Entdeckung mit Gedichten, die mein Interesse anhaltend binden, im selben Buch bringt Christian Kreis das Sowohl-als-Auch der ewigen Dilem­mas im unersättlichen Dasein ganz „einfach“ auf den Punkt: Mundraub // Ich werde meine Lippen / mit Sekunden­kleber bestreichen / dich küssen und dann / einfach fort­gehen. …

Im vergangenen Jahr bereits läßt mich unter den Premiere-Titeln das eine oder andere FIXPOETRY-Buch auf­horchen, dessen Lese­eindruck ich in dem am 1. Januar 2012 ver­öffent­lichten Essay Von Buch zu Buch. Lesezeiten 2011 kurz festhalte: „So weise ich frech auf den Band da kapo mit CS-Gas hin, in dem ich kalt­herz­blütig auf­notierte (montierte) Gedichte von Kai Pohl und Clemens Schittko lese, von denen ich mich am 5. Dezember zwischen 16 und 17 Uhr frei und willig in die Zange nehmen lasse. Der gemein­schaft­liche Band ist 2011 im Hamburger FIX­POETRY.Verlag erschie­nen – wie auch die Antho­logie Brenn­punkte mit Gedichten von sechs Auto­rinnen aus der Schweiz sowie Brigitte Struzyks alles offen – – – von wegen „alles offen“: Im Gedicht Verkehrt heißt es im ersten Vers Verflogen kam der Vogel an und später (hier klopft Christa Wolf an die Tür): Kein Ort hier, nirgends offen.“

Während ich Brigitte Struzyks originelles, vor vitalen Versen strotzendes Lyrikbuch alles offen las, kamen mir erste, via Mail, Skype oder Telefon geäußerte, Mut­maßungen, wer denn den anste­henden Peter-Huchel-Preis gewin­nen könnte, zu Ohren. Ich dachte im Anschluß an die über weite Strecken fes­selnde Lektüre, daß Brigitte Struzyk diesen Preis mit alles offen durchaus gewinnen könnte, es wäre eine gute Ent­scheidung, hoffte im stillen jedoch auf Ulrich Zieger und Auf­wartungen im Gehäus und ahnte, daß Joachim Zünders wahrhaft gute Rauch­geister sich im Hinblick auf den Preis in Luft auf­lösen würden. Ich kann die Ent­scheidung für Nora Bossongs schönes Gedicht­buch Sommer vor dem Mauern nach­voll­ziehen, das ich sehr gern gelesen habe, wie ebenfalls im Essay Von Buch zu Buch nachzulesen ist, und während ich das hier aufnotiere, bin ich ganz bei Susan Sontag, die im 1964 publi­zierten Essay Notes on Camp betont: Camp taste is, above all, a mode of enjoyment, of appreciation – not judgment. Camp is generous. It wants to enjoy. It only seems like malice, cynicism. (Or, if it is cynicism, it’s not a ruthless but a sweet cynicism.) / Theo Breuer, Poetenladen

  • Kerstin Becker, Fasernackte Verse, Gedichte, Vorwort von Jürgen Brôcan, Bilder von Wienke Treblin, 62 Seiten, Broschur, FIXPOETRY.Verlag, Hamburg 2011.
  • Jan Decker, Der Abdecker, Essay / Gedichte / Prosa, Vorwort von Jürgen Brôcan, Bilder von Wienke Treblin, 65 Seiten, Broschur, FIXPOETRY.Verlag, Hamburg 2011.
  • Susanne Eules, ůbern růckn des atlantiks den rand des nachmittags, Gedichte, mit Artwork von Korinna Feierabend, 98 Seiten, Klappenbroschur, FIXPOETRY.Verlag, Hamburg 2012.
  • Johannes CS Frank, Remembrances of Copper Cream · Erinnerungen an Kupfercreme ·זכרונות של נחושת וקצפת, Lyrik und Prosa, ins Deutsche übertragen von Florian Voß und Ron Winkler, ins Hebräische übertragen von Judi Hetzroni und Merav Salomon, bebildert von Felix Scheinberger, 148 Seiten, Hardcover, FIXPOETRY.Verlag, Hamburg 2012.
  • Herbert Hindringer · Judith Sombray, Nähekurs, Gedichte, 48 Seiten, Broschur, FIXPOETRY.Verlag, Hamburg 2011.
  • Christine Hoba & Christian Kreis, Dummer August und Kolumbine, Zeichnungen von Felix Scheinberger, Nachwort von André Schinkel, 59 Seiten, Klappenbroschur, FIXPOETRY.Verlag, Hamburg 2012.
  • Julia Mantel, dreh mich nicht um, Gedichte, Bilder von Petrus Akkordeon, Vorworte von Kurt Drawert und Jörg Sundermeier, 47 Seiten, Broschur, FIXP­OETRY.Verlag, Hamburg 2011.
  • Kai Pohl · Clemens Schittko, da kapo mit CS-Gas, Gedichte, 59 Seiten, Broschur, FIX­POE­TRY.Verlag, Hamburg 2011.
  • Brigitte Struzyk, alles offen, Gedichte, mit einem Vorwort von Peter Wawerzinek und Bildern von Elke Ehninger, 117 Seiten, Broschur, FIXPOETRY.Verlag, Hamburg 2011.
  • Brigitte Struzyk, Drachen über der Leninallee, Roman, 287 Seiten, Klappenbroschur, FIX­POETRY.Verlag, Hamburg 2012.
  • Charlotte Ueckert, Dein Haar ist mein Nest, Gedichte, Vorwort von Peter Engel, 34 Seiten, Broschur, FIX­POETRY.Verlag, Hamburg 2011.
  • Gerrit Wustmann, Beyoglu Blues, Gedichte, deutsch – türkisch, ins Türkische übertragen von Miray Ath, 33 Seiten, Broschur, FIX­POETRY.Verlag, Hamburg 2011.
  • Julietta Fix (Hg.), Brennpunkte. Lyrik aus der Schweiz, Gedichte von Irène Bourqin · Brigitte Fuchs · Svenja Herrmann · Marianne Rieter · Nathalie Schmid · Elisabeth Wandeler-Deck, Illu­strationen von Judith Sombray, Vorwort von Beat Brechbühl, 68 Seiten, Broschur, FIX­POETRY.Verlag, Hamburg 2011.
  • Julietta Fix (Hg.), ein Bild von einem Gedicht, Bilder und Gedichte von Michael Arenz · Klara Beten · Jan Decker · Peter Ettl · Sabine Georg · Herbert Hindringer · Magdalena Jagelke · Ulrich Koch · Sünje Lewejohann · Undine Materni · Frank Norten · Silke Peters · Sophie Reyer · Ulrike Almut Sandig · Iris Thürmer · Janin Wölke · Michael Zoch, 116 Seiten, Broschur, Querformat, FIX­POETRY.Verlag, Hamburg 2011.
  • Julietta Fix (Hg.), Mehr und weniger. Erste bis letzte Poetry­letter 2010, Gedichte von Bernd Bohmeier · Manfred Chobot · Ulrike Draesner · Hans-Jürgen Heise · Thilo Krause · Christoph Leisten · Sabina Lorenz · Hellmuth Opitz · Francisca Ricinski · André Schinkel · Gerd Sonntag · Christoph Wenzel u.v.a., 63 Seiten, geheftete Broschur, FIXPOETRY.Verlag, Hamburg 2010.

3 Comments on “3. Poesie und Preise · Und eine Reise zum FIXPOETRY.Verlag nach Hamburg

  1. Michael Gratz, ein Gönner der Verschreibkunst, kündigte den Lyriker Theo Breuer auf https://lyrikzeitung.com/ in seiner Funktion als Essayist als THE Breuer an. Wir sind froh, daß dieser Kenner der deutschsprachigen Literatur bei kulturnotizen den ein oder anderen Essay geschrieben hat und uns trotz der hoch gehandelten Ablösesummen nach Saisonende nicht gen Arsenal verlassen will. Das existenzielle Schreiben kann man bei The Breuer als moralische Selbstbehauptung beschreiben, wie sich auch z.B. Michel de Montaignes Rückzug in sein offenes Projekt der »Essais« sieht. Die ganze WÜrdigung findet sich hier: http://www.editiondaslabor.de/blog/?p=1949

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