Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Dieser Essay widmet sich zum einen, dem literarischen Buchprogramm des 2011 von Julietta Fix in Hamburg ins Leben gerufenen FIXPOETRY.Verlags, das mich gleich mit mehreren druckfrischen Büchern vom Hocker reißt, zum anderen schallt die eine oder andere Frage hinsichtlich der Vergabe von Literaturpreisen, die sich während der begeisternden Lektüre von Brigitte Struzyks bei FIXPOETRY erschienenem Gedichtbuch alles offen hartnäckig, querköpfig, unduldsam hinter der Stirn plaziert, in den von allerlei Getier bevölkerten Wald im Hinterland hinein. …
Das Gedicht material comfort begeistert mich derart, daß ich es wieder und wieder lese – allein schon diese Auftakt-Verse: and against all odds / i did find god. Die ›phantastische‹ alliterative Kombination phlogiston flowers wirkt im Zusammenhang der Verse elektrisch aufgeladen, gleichsam magnetisch zieht sie mich an wie die ehemalige 100-Watt-Glühbirne das Insekt, und ich lese, „bis die Wimpern vor Müdigkeit leise klingen“ (Elias Canetti). Flowers / pebbles … are the all-powerful paradoxical stone / exothermic needs / child’s delight / silence / fault in the firing – material comfort ist, in Worteinheit mit dem anschließenden Gebet appropriate alphabetical, ein Gedicht, das ich mit Wonne lese. – This graphic book of remembrance is a book against seas of oblivion. I whisper: Thank you.
Der FIXPOETRY.Verlag hat also angefangen, so richtig Dampf zu machen: Mit Johannes CS Franks Erinnerungen an Kupfercreme, Susanne Eules‘ ubern ruckn des antlantiks den rand des nachmittags und Brigitte Struzyks Drachen über der Leninallee, alle im März 2012 erschienen, steigt der Verlag bereits ein Jahr nach der Gründung in die erste Liga der jungen Literaturverlage im deutschen Sprachraum auf. Und für die Leser, die der Vergleich mit dem Sport befremden mag (denn Sport ist bekanntlich auch Mord – Literatur etwa nicht?), formuliere ich es so: Das sind Bücher, denen ich nach dem für alle Bücher selbstverständlichen Willkommensgruß so richtig gern Unterschlupf biete in meinem kleinen Wörterhaus. Das sind Bücher, die mich auf- und erregen, die den Metabolismus dermaßen in Schwung bringen, daß ich auf einmal wieder federleicht durchs Dasein schwebe und Mrs Columbo mit Jubelrufen auf die Nerven gehe (hoffentlich nicht …). Auch Jan Deckers Buch Der Abdecker mit Essay, Lyrik und Prosa schlägt eine ganz eigenwillige Tonart an, deren Sequenzen ich sehr gerne folge. Christine Hoba ist eine feine Entdeckung mit Gedichten, die mein Interesse anhaltend binden, im selben Buch bringt Christian Kreis das Sowohl-als-Auch der ewigen Dilemmas im unersättlichen Dasein ganz „einfach“ auf den Punkt: Mundraub // Ich werde meine Lippen / mit Sekundenkleber bestreichen / dich küssen und dann / einfach fortgehen. …
Im vergangenen Jahr bereits läßt mich unter den Premiere-Titeln das eine oder andere FIXPOETRY-Buch aufhorchen, dessen Leseeindruck ich in dem am 1. Januar 2012 veröffentlichten Essay Von Buch zu Buch. Lesezeiten 2011 kurz festhalte: „So weise ich frech auf den Band da kapo mit CS-Gas hin, in dem ich kaltherzblütig aufnotierte (montierte) Gedichte von Kai Pohl und Clemens Schittko lese, von denen ich mich am 5. Dezember zwischen 16 und 17 Uhr frei und willig in die Zange nehmen lasse. Der gemeinschaftliche Band ist 2011 im Hamburger FIXPOETRY.Verlag erschienen – wie auch die Anthologie Brennpunkte mit Gedichten von sechs Autorinnen aus der Schweiz sowie Brigitte Struzyks alles offen – – – von wegen „alles offen“: Im Gedicht Verkehrt heißt es im ersten Vers Verflogen kam der Vogel an und später (hier klopft Christa Wolf an die Tür): Kein Ort hier, nirgends offen.“
Während ich Brigitte Struzyks originelles, vor vitalen Versen strotzendes Lyrikbuch alles offen las, kamen mir erste, via Mail, Skype oder Telefon geäußerte, Mutmaßungen, wer denn den anstehenden Peter-Huchel-Preis gewinnen könnte, zu Ohren. Ich dachte im Anschluß an die über weite Strecken fesselnde Lektüre, daß Brigitte Struzyk diesen Preis mit alles offen durchaus gewinnen könnte, es wäre eine gute Entscheidung, hoffte im stillen jedoch auf Ulrich Zieger und Aufwartungen im Gehäus und ahnte, daß Joachim Zünders wahrhaft gute Rauchgeister sich im Hinblick auf den Preis in Luft auflösen würden. Ich kann die Entscheidung für Nora Bossongs schönes Gedichtbuch Sommer vor dem Mauern nachvollziehen, das ich sehr gern gelesen habe, wie ebenfalls im Essay Von Buch zu Buch nachzulesen ist, und während ich das hier aufnotiere, bin ich ganz bei Susan Sontag, die im 1964 publizierten Essay Notes on Camp betont: Camp taste is, above all, a mode of enjoyment, of appreciation – not judgment. Camp is generous. It wants to enjoy. It only seems like malice, cynicism. (Or, if it is cynicism, it’s not a ruthless but a sweet cynicism.) / Theo Breuer, Poetenladen
Michael Gratz, ein Gönner der Verschreibkunst, kündigte den Lyriker Theo Breuer auf https://lyrikzeitung.com/ in seiner Funktion als Essayist als THE Breuer an. Wir sind froh, daß dieser Kenner der deutschsprachigen Literatur bei kulturnotizen den ein oder anderen Essay geschrieben hat und uns trotz der hoch gehandelten Ablösesummen nach Saisonende nicht gen Arsenal verlassen will. Das existenzielle Schreiben kann man bei The Breuer als moralische Selbstbehauptung beschreiben, wie sich auch z.B. Michel de Montaignes Rückzug in sein offenes Projekt der »Essais« sieht. Die ganze WÜrdigung findet sich hier: http://www.editiondaslabor.de/blog/?p=1949
LikeLike
herr, sagt uns noch mehr über euch
LikeLike
Ich finde diese Begeisterung von Theo Breuer für Literatur immer wieder mitreissend und ungeheuer wertvoll.
LikeLike