1. Dichterin und Ordensfrau Silja Walter tot

Die Dichterin und Ordensfrau Silja Walter ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Dies teilt die Priorin des Klosters Fahr mit. …

Mit über 60 Werken hat Silja Walter eines der reichsten Oeuvres der Schweizer Literaturgeschichte vorzuweisen. / DRS

In L&Poe

Das Gedicht „Tänzerin“, das André Rudolph im Leserkommentar einfügte, steht auch in der Anthologie „Zu Unrecht vergessen“ (Hg. Paul Hühnerfeld, 1957).

In seinen nun ehemaligen DLF-Lyrikkalender hat Michael Braun mindestens 2 ihrer Gedichte eingerückt, darunter dies:

Die 1919 geborene Silja Walter, eine Schwester des Schweizer Schriftstellers Otto F. Walter (1928-1994), lebt seit 1948 als Schwester Hedwig im Benediktinerinnenkloster Fahr bei Zürich. Ihr erstes Gedichtbändchen – so erfährt man in ihren Kindheitserinnerungen „Der Wolkenbaum“ – vergrub sie im Wald unter dem Moos: „für Gott“. Vor ihrer Hinwendung zu einer dezidiert theologischen Poetik hat sie einige zauberhafte Gedichte geschrieben, in denen ein einsames weibliches Ich nach seinem Standort in der Welt sucht.

Mein kleiner weißer Hund und ich,
Wir gehen durch alle Türen.
Wir suchen dich. Wir suchen mich.
Wir weinen und wir frieren.

Der Regen kreiselt groß im See,
Wirft Ringe in die Runde.
Ich weiß nicht, wo ich geh und steh
Mit meinem kleinen Hunde.

Die Welt ist weit. Und weit bist du.
Wo enden Weg und Reise?
Ich hör dem großen Regen zu –
Mein kleiner Hund bellt leise.

Ich find dich nicht. Ich find mich nicht.
Mit dir ging ich verloren.
Mein Hund blickt trüb, und mein Gesicht
Preß ich an seine Ohren.

(Gedichte. Arche Verlag, Zürich 1950 ff.)

Die Suchbewegung des lyrischen Subjekts bleibt hier noch richtungslos. Der einzige Verbündete des Ich in diesem Gedicht, das Ende der 1940er Jahre entstanden sein mag, ist ein „kleiner weißer Hund“. In der zarten, traurigen Melodie des Gedichts schwingt eine Verlorenheit mit, die erst in späteren Texten, nach der geistlichen Bekehrung der Autorin, aufgehoben wird – in Gottvertrauen.

Radio Vatikan schreibt:

Im Kloster wich der strenge, an Volkslieder gemahnende Bau ihrer frühen Gedichte immer stärker moderneren, freieren Rhythmen. Zum Vergleich eine frühe und eine späte Strophe: „Im Walde wiegt der Seidelbast/ Sich leise her und hin./ Seitdem du mich vergessen hast,/ Vergess ich dass ich bin.“ („Der Seidelbast“, 1944, eines der meistgenannten Liebesgedichte im Internet). Dagegen später: „So geh doch/ geh/ du hast dich ja/ bei mir/ vergessen.“

(die Seite hat viel Text und Audiolinks)

11 Comments on “1. Dichterin und Ordensfrau Silja Walter tot

  1. Am besten, Ihr fragt mal im schweizerischen Literaturarchiv in Bern nach, da werden fast sämtliche Texte von Silja Walter archiviert und auch gut sortiert. Oder aber Ulrike Wolitz, die die Redaktorin der Gesamtausgabe Silja Walters ist. Sie hat einen sehr guten Überblick über so ziemlich sämtliche Texte und kann bestimt auch Auskunft geben. Tatsächlich kann ich bemerken, dass es sehr spannend ist, silja Walters Gedihte zu vergleichen, wie sie Form angenommen haben, abgeändert und erweitert wurden…

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  2. Pingback: Tänzerin « Pagophila

  3. außerdem finde ich sie in:
    Oda Schaefer, Hg.: Unter dem sapphischen Mond. Deutsche Frauenlyrik seit 1910 (1957)
    Wolfgang Weyrauch, Hg.: expeditionen. deutsche lyrik seit 1945 (1959)
    Hans Bender, Hg.: Widerspiel. Deutsche Lyrik seit 1945 (1961)
    Bernd Jentzsch: Schweizer Lyrik des 20. Jahrhunderts (1977)
    Peter von Matt / Dirk Vaihinger: Die schönsten Gedichte der Schweiz (2002)

    Die Zusammenstellung ist unvollständig. Alle von mir eingesehenen Bände wählen Gedichte aus dem Band in der 2. Auflage von 1950, meist „Die Tänzerin“ und „Die Irre“. 2002 wird als Quelle angegeben: S.W., Gesamtausgabe, Bd. 1, Frühe Gedichte, Texte, Erzählungen und Spiele. Freiburg 1999

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  4. Im „Großen Conrady“ (2008) findet man von Silja Walter „Maria singt“ und „Tänzerin“, in der von Horst Bingel herausgegebenen dtv-Anthologie „Deutsche Lyrik – Gedichte seit 1945“ (7. Auflage, Januar 1975, 76. bis 85. Tausend!!!) vier weitere Gedichte, darunter auch „Mein kleiner weißer Hund und ich“. Die erste Auflage der Bingel-Anthologie war 1963 erschienen.

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    • So ein kleines verschrubbeltes Auswahlbändchen aus einem Schweizer Verlag… Kann ich dir mal brennen 🙂

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      • Für hier ist es ausm Netz gerippt, in der dritten Strophe, vierte Zeile muss es sicher „drin“ statt „darin“ heißen. (Habs jetzt nicht vorliegen.) Es sieht unsäglich aus, mit diesen zerfetzten Strophen. – Im Kloster ist es dann recht klösterlich geworden, ihr Schreiben, nach dem „expressionistischen Frühwerk“, oder wie sagt man…

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      • wenn Sie rankommen, würden mich Titel bzw. Auflage interessieren. Der Band „Gedichte“ erschien zuerst 1944, 1950 erweiterte Neuauflage und ab 4. Auflage wieder um 2 erweitert.

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  5. Silja Walter

    Tänzerin

    Der Tanz ist aus. Mein Herz ist süß wie Nüsse,
    Und was ich denke, blüht mir aus der Haut.
    Wenn ich jetzt sacht mir in die Knöchel bisse,
    Sie röchen süßer als der Sud Melisse,
    Der rot und klingend in der Kachel braut.

    Sprich nicht von Tanz und nicht von Mond und Baum
    Und ja nicht von der Seele, sprich jetzt nicht.
    Mein Kleid hat einen riesenbreiten Saum,
    Damit bedeck ich Füße und Gesicht
    Und alles, was in diesem Abend kauert,
    Aus jedem Flur herankriecht und mich mißt
    Mit grauem Blick, sich duckt und mich belauert,
    Mich gellend anfällt und mein Antlitz küßt.

    Sprich nicht von Tanz und nicht von Stern und Traum
    Und ja nicht von der Seele, laß uns schweigen.
    Mein Kleid hat einen riesenbreiten Saum,
    Drin ruht verwahrt der Dinge Sinn und Reigen.

    Ich wollte Schnee sein, mitten im August,
    Und langsam von den Rändern her vergehn,
    Langsam mich selbst vergessen, ich hätt Lust,
    Dabei mir selber singend zuzusehn.

    (korrigiert nach der Ausgabe: Silja Walter, Gedichte. 5. Auflage. Zürich: Verlag der Arche, o.J. [vor 1960])

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    • Vielleicht kann man das noch anständig in die Reihe setzen? – Es gibt ein paar frühe, tolle Gedichte von Silja Walter.

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      • Vielen Dank! – Eine schändlich entstellte Fassung hab ich da gepostet, ohne den Text zur Hand zu haben.

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