87. Tyrannendämmerung

Bei der algerischen oder französisch-algerischen Tribune ein Artikel von Mohamed Bouhamidi mit der Überschrift „Die Tunesier erfinden ihre Geschichte neu“, der mit einem nicht genannten Dichter beginnt und endet:

Das Volk findet seinen Dichter wieder. Seinem Dichter, der uns lehrte, daß, „wenn das Volk eines Tages das Leben verlangt / Sich das Schicksal nur fügen / Die Nacht sich nur zerstreuen / Und die Fessel sich nur lösen kann“, hat das Volk Recht gegeben. Er hatte den Weg bereitet, indem er die Ketten der poetischen Tradition zerbrach und das Volk zusammen mit einigen Vorläufern zur Poesie einlud und kommende Revolten ankündigte. Prophetische Poesie der Tyrannendämmerung.

(Der Dichter ist offenbar so allbekannt, daß man seinen Namen gar nicht nennen muß? Falls ihn jemand kennt: Hinweise sind immer willkommen.)

2 Comments on “87. Tyrannendämmerung

  1. Der Dichter ist der Tunesier Abu al-Qasim asch-Schabbi. Das sind auch die letzten Strophen der tunesischen Nationalhymne. Dieses Gedicht wurde vor mehr als 80 Jahre geschrieben, aber wenn man an den Beginn des arabischen Frühlings in Tunesien denkt, könnte man ihn nicht besser beschreiben! Der Dichter ist im Alter von 25 Jahren gestorben, hat sich aber durch solche Verse verewigt.

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Abu_al-Qasim_asch-Schabbi

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  2. Bei dem Dichter handelt es sich um Abu al-Qasim asch-Schabbi, meist Abou el Kacem Chebbi. Er wurde zum tunesischen Nationaldichter gemacht und ist tatsächlich, zumindest in Tunesien, sehr bekannt, zumal die im Beitrag zitierten Verse einem Gedicht von ihm entstammen, das teilweise als Text der tunesischen Nationalhymne herhalten muss: wohl alle Tunesierinnen und Tunesier können diese Hymne und also auch jene Verse im Schlaf aufsagen. In Schulen muss sie täglich gesungen werden.
    Einen sehr guten und ausführlichen Eintrag über Chebbi gibt es in der französischen Wikipedia:
    http://fr.wikipedia.org/wiki/Abou_el_Kacem_Chebbi

    Vor einigen Jahren habe ich ein Jahr in Tunis gelebt und sehr unter der Ironie dieser Verse als Nationalhymne gelitten (noch mehr, als ich allgemein unter jeder Nationalhymne leide), und ich freue mich nun über die zerschlagenen Fesseln, auch wenn natürlich abzuwarten und mit großer Skepsis zu beobachten ist, was weiter geschieht.

    Herzliche Grüße aus Buenos Aires,
    Léonce W. Lupette

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